Robert Streibel

Vater Tochter Biographie des NS-Marinerichters Hans Filbinger

Kein Abziehbild des Vorurteils

Wie privat darf Geschichte sein? Nicht selten wird, wenn aus dem Nähkästchen geplaudert wird, versprochen, das wahre Gesicht einer Persönlichkeit, sei es nun zwischen Suppenschüssel und Konzert oder zwischen Familie und Berggipfel zu zeigen. Wenn die Perspektive durch Familienbande dirigiert wird, ist Vorsicht geboten. Das Private als Entschuldigung für Täter jeder Art.
Mit dem Namen Filbinger zu leben mag eine Bürde zu sein. Seine Tochter Susanna hat dies erlebt. Dr. Hans Filbinger, baden-württembergischer Ministerpräsident, eine Symbolfigur für verdrängte NS-Geschichte. Der ehemalige NS-Marinerichter hat mit dem Satz „Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein“ die Leitlinie für eine Verharmlosung des Regimes gelegt. Durch Rolf Hochhuths Stück „Die Juristen“ kam Filbinger auch zu literarischen Unehren. Diese „Vater Tochter Biographie“ ist auch ein Rückblick auf den Deutschen Herbst der späten 70er Jahre, mit Rote Armee Fraktion und Ausnahmezustand.
Als ich die broschierten Druckfahnen in die Hand nahm, unentschieden, ob ich mit dem Lesen sofort beginnen sollte oder sie vorerst nur anzulesen, hatte ich den obligaten Bleistift nicht mit auf die Terrasse genommen. Erst nach 160 Seiten konnte ich mich entschließen aufzustehen und den Stift zu holen. Die Schilderung, wie die Tochter nach dem Tod der Mutter wieder in das Elternhaus kommt, um alles vorzubereiten für die Räumung hat es in sich, spannend und stimmungsvoll packend. Goethe Schiller, Erstausgaben im Regal, Verfassungsgeschichte, eine Marmorbüste von Konrad Adenauer, die Erinnerungen an die Diskussionen, die letzte Begegnung, als der Vater mit der Sauerstoffflasche nur mehr einige Schritte machen konnte. Diese Seiten machen klar, hier liegt keine Rechtfertigungsschrift vor. Wir müssen Filbinger nicht lieben lernen. Für die Tochter ist es eine Selbstvergewisserung und ein Versuch die Frage zu beantworten, wer ihr Vater nun wirklich war. „Ich bin hier groß geworden. Hier im Garten habe ich das Laufen gelernt, sprechen gelernt, denken, fühlen. Wirklich? Habe ich hier fühlen gelernt?“
Die Suche nach der Vergangenheit im leeren Haus wird immer wieder unterbrochen durch Rückblicke auf die Familiengeschichte, katholisch, streng, diktatorisch. Die Familie als Basis für Wahlkämpfe, ein Fingerzeig und alle gehen geschlossen zur Kommunion in der Kirche oder wandern am Sonntag. Wie kommt ein Denkprozess in Gang? Das ist das Spannende an dieser Schilderung. Und dann findet die Tochter Tagebücher und Briefe und nimmt sie mit nach Hause. Mehrmals kommt die Formulierung, dass sie sich noch nicht reif fühlt sich „dem“ zu stellen. Was würde sie entdecken? Welcher neuen Facette des Vaters auf die Spur kommen? Als die Vergangenheit des ehemaligen Marinerichter, der auch Todesurteile gegen Kriegsende ausgesprochen hat, in der deutschen Öffentlichkeit hochkommt, ist die Tochter gerade auf dem Weg zur Selbständigkeit und übersiedelt nach London, um an der London School of Economics zu studieren.
Geschickt hält sie die Spannung und der Leser wartet, bis sie die ominösen Mappen endlich geöffnet werden. Leider wird die Vater-Tochter Biographie mehr zur Tochter-Autobiographie, der Streit um die Alimente Zahlungen mit einem erfolgreichen Banker und Spekulanten, der nicht für den Unterhalt des Sohnes aufkommen will – um den Prozess führen zu können, übersiedelt Susanna in die USA – ist zwar interessant, kann aber als zu viel Innensicht bewertet werden. Hier übernimmt das Schreiben als Therapie die Überhand. Schade. Doch die Spannung wird geschickt gehalten und die Öffnung der Mappen erwartend liest und blättert man weiter. Das Ergebnis am Schluss ist dann dürftig. Die Entschuldigung bei der Schwester eines von Filbinger verurteilten Deserteurs, macht klar welchen Weg die Tochter gehen wollte und gegangen ist „Jenseits von Rechtfertigungen musste es auch noch andere Möglichkeiten geben. Ich wollte die Geschichte meines Vaters für mich persönlich endlich zu einem Abschluss bringen – mit dem differenzierten Bild eines Menschen, der meiner Verteidigung nicht mehr bedarf.“
Die Aufforderung des Historikers, dass sie Seite für Seite lesen müsse, findet sich auf Seite 274, die Analyse der Briefe erstreckt sich leider auf lediglich fünf Seiten. Sie erschrickt, wenn der Vater sich nach Heldentum sehnt, im Juli 1943 schreibt er, dass ihm jede Erfolgsmeldung des Seekrieges neue Hoffnung gibt. Das Resümee ist dünn, weil nicht nachvollziehbar.
„Ich habe keinen Beleg gefunden für den Nazi, den Hitlerverehrer womöglich, für den Sadisten, den Rassisten. Nichts. Sehr wohl für das Soldatentum, den Kampf, das Heldentum.“ Ebenso kurz wird die Trennung zwischen Reinhold Schneider und Filbinger abgehandelt, Der katholische Schriftsteller war zum Schluss gekommen, „dass mein Vater der NS-Ideologie nahe stand. Vater schreibt, er habe sich bemüht, es Schneider gegenüber zu verbergen.“
Der Wunsch am Schluss, dass sich nun jeder ein Bild machen soll „ein Bild, das man aus verschiedenen Blickwinkeln her ansehen kann. Und nicht länger ein Abziehbild des Vorurteils“ wird sich wohl so nicht realisieren, dafür bietet diese Innensicht zu wenig Material. Hochachtung vor dem selbstkritischen Weg, den die Autorin beschritten hat. Eine Innensicht ohne dass eine Historikerin oder Historiker ins Spiel kommt oder zumindest wissenschaftliche Methoden angewandt werden, lässt dieses Unterfangen auf halber Strecke scheitern.
Dass das „Vorurteil“ über den NS Marinerichters von seinen Kritikern mit viel Ungenauigkeit, Schlamperei und wohlmeinender Parteilichkeit unterfüttert wurde, ist eine wichtige Feststellung, anwendbar auch für aktuelle Auseinandersetzungen. Dies ist kein Plädoyer für eine zahnlose Schärfe in der Debatte, aber für einen „Kampf“, der auch die Integrität des Gegners achtet, so schwer dies auch fallen mag angesichts eines Akteurs, der sich bis zum Schluss als ungerecht behandelt fühlte und eine Verschwörung durch die Stasi nachzuweisen versuchte.
Robert Streibel

Susanna Filbinger-Riggert
Kein weißes Blatt. Eine Vater Tochter Biographie. 282 S., geb.,
€ 19,99 (Campus Verlag Frankfurt).


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