Robert Streibel

Die Bettler nach der Oper nicht vergessen

"Katja Kabanová" von Leo Janacek Robert Streibel

Oper ist eine Sache der besseren Gesellschaft und eine Maschine, die Konflikte und Probleme kulinarisch aufbereitet. Die Armut der Mimi in "Boheme", der Kerker im "Fidelio", die gemeinsame Fahrt zum Schafott in "Andrea Chenier". Und die Liste könnte noch beliebig fortgesetzt werden. Nie waren Schmuggler so schön und selbst Inzest ("Walküre") kann sich wunderbar auf der Bühne hören lassen. Schaurig schön und Gänsehaut sind garantiert, wenn alles passt, die Sänger, der Dirigent, die Inszenierung und die Tagesverfassung der Zuhörerin oder des Zuhörer. Manche meinen sogar, die Oper ist für jene wichtig und notwendig, weil sie dort noch Gefühle erleben können, die sie im Leben nicht mehr spüren oder kennen. Die Bereitschaft, sich Konfliktthemen zu stellen und nicht gleich in Vorverurteilungen zu verfallen, würde unserer Gesellschaft auch außerhalb der Oper gut tun.

Die letzte Premiere der Staatsoper war "Katja Kabanová" von Leo Janacek. Selten ist die Unmenschlichkeit mit einer Schärfe auf der Bühne präsent, dass es fast nicht zu ertragen ist. Wie da der herrische Dikoj und die dominante Kabanicha die Jungen unterdrücken, fast wollte man meinen: "Dieser Terror schreit nach Rache". Doch die gibt es nicht. Die Flucht und der Freitod sind die letzte Rettung. Doch warum jetzt darüber schreiben? Das Leben ist trist genug Fukushima raucht, die Integration ist nur mehr Deutschlernen und wird als Einbahnstraße ausgeschildert, die Mehrheitsgesellschaft kann so bleiben wie sie ist. Nur die, die nach Österreich kommenden, sollen sich einfügen, vielleicht dürfen sie dann Dirndl und Trachtenjanker tragen. Den Jüdinnen und Juden ist das ja ein Mal in diesem Land schon verboten worden.

Also warum über Katja Kabanová nachdenken? Für bettelnde Menschen wird es immer schwieriger angesichts des Bettelverbotes. Da Flashmobs für Bettelnde noch nicht Praxis ist, gilt es den richtigen Platz für das Betteln zu finden. Kirchenportale sind eine gute Wahl, da ja in der Kirche zuweilen von Nächstenliebe geredet wird, Luxusgeschäfte bieten sich an, da die, die Geld haben, vielleicht auch etwas abwerfen.

Vor der Oper gibt es nur wenige Bettelnde. Wenn "Katja Kabanová" auf dem Spielplan steht, dann sollten sich viele dort versammeln, denn das könnte ihre Chance erhöhen. Wird doch die gute Gabe an Bettler so etwas wie eine Erinnerung an die große Liebe gepriesen. "Nimm und gib in Zukunft jedem Bettler, den Du triffst", sagt die verheiratete Katja zu jenem Boris, den sie liebt bei ihrem Abschied vor dem Selbstmord. Das ist doch ein Plädoyer, ein ganz seltenes. Sonst gibt es auf der Bühne bei "Katja Kabanová" keine Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Die tyrannische Schwiegermutter Kabanicha hat, als die aus dem Wasser geborgene tote Katja die Bühne gelegt wird, nicht Besseres zu tun, als ihr den Ehering vom Finger zu ziehen und sie mit einem abschätzigen Fußbewegung einfach umzudrehen. Sowenig ist das Leben Wert.

Nach der Premiere saß ein Bettler vor der Oper, ob er den Spielplan gekannt hat, wage ich zu bezweifeln. Wenn ich ehrlich bin, gebe ich Bettlern selten etwas, aber der Satz der Oper ist mir im Vorbeigehen eingefallen ich habe umgedreht und dem Plädoyer der Oper entsprochen. Und da sage jemand, dass Kunst ohne Wirkung ist. Also Bettlerinnen und Bettler vorgemerkt. Die nächsten Aufführungen von "Katja Kabanova" sind aber leider erst am 10., 14., 17., 21. November 2011.


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