Robert Streibel

Innovationen auf kleiner Flamme

Die NS-Herrschaft in Österreich als Herausforderung für Universität, Schulen und Volkshochschulen. Februar 2002

Robert Streibel

Prolog
≥Ich finde das eine Frechheit, warum bombardieren Sie mich mit dieser Wannsee-Konferenz, ich sehe nicht ein, dass ich zu Kreuze kriechen soll und mich schlecht machen soll. Immer nur diese Izigs…

Frage: Ich habe Sie nicht verstanden, immer nur wer?

Diese Itizigs, diese Juden, für die müssen wir immer noch zahlen, das sehe ich nicht ein. Gut, es war nicht in Ordnung, was man mit ihnen gemacht hat, aber warum keine Ruhe geben, kann nie eine Ruhe sein und außerdem werden auch andere Völker nicht entschuldigt. Mein Vater ist geschlachtet worden im Krieg, ist er weniger wert? Ihm wird nicht gedacht. Nein, immer nur diese Juden. Es gab auch andere Völker, die gelitten haben, aber die Juden sind reich, die leben in Amerika und die diktieren uns. Ich sehe nicht ein warum wir immer noch zahlen müssen und warum wir den Krieg in Israel zahlen müssen. Wo leben wir denn, immer nur diese Juden, wenn ich in der Straße gehe – auf jeder Ecke eine Gedenktafel für einen Juden und dauernd machen wir uns schlecht, wir ziehen uns in den Dreck, kein Land macht sich so schlecht wie wir, wir machen uns klein und sollen uns dauernd schämen, jetzt noch immer, kein Ende ist da, und immer wieder wird gestierlt. Und sie sind schuld wenn der Hass auf die Juden wächst, denn so wie ich denken auch andere, die bekommen eine Wut, dass keine Ruhe ist. Es war eben Krieg und es hat viele Kriege gegeben und das mit den Juden ist im Zuge des Krieges geschehen…„

Anruf in der Volkshochschule Hietzing von einer erbosten Kursteilnehmerin einige Tage vor Eröffnung der Wannsee-Ausstellung in Wien im Februar 2002

Geschichte muss geschrieben ˆ und damit sie gewusst wird ˆ auch vermittelt werden. Erst Historiker, Zeitzeugen und Publizisten formen ein Bild der Ereignisse für jene, die Zeiten nicht selbst erlebt haben, lassen Vorgänge für Zeitzeugen in einem anderen, neuen Licht erscheinen. Für manche (siehe Prolog) ist dieses Unterfangen eine Provokation und in seiner Wirkung aussichtslos. Für das Schreiben der Geschichte sind unter anderem Universitäten, die an ihr Lehrenden und Ausgebildeten, für die Vermittlung unter anderem Schulen und Bildungseinrichtungen zuständig.

In der Debatte über die österreichische Zeitgeschichte ist der angeblich späte und verschämte Beginn einer ungeschminkten Auseinandersetzung über die Greuel des Nationalsozialismus, die Exekutoren der Rassenideologie, die Täter der Weltherrschaftspläne und des Übermenschentums sowie die Ausmaße des Raubes und die Vielfalt der Opfergruppen in der Zwischenzeit ein Stehsatz. Zu früh wurde ein falscher Friede mit den Tätern geschlossen und so den Mitläufern nie Gelegenheit gegeben, das wahre Ausmaß zu erkennen. Bereits im Herbst 1945 war von einem Schlussstrich die Rede und es sollte mehr als ein halbes Jahrhundert dauern bis eine Historikerkommission eingesetzt wurde, die das Ausmaß des Raubes prüfen sollte, bis alle Akten rückhaltlos zur Bearbeitung freigegeben wurden. Spät wurden Bedingungen für eine Erforschung der NS-Herrschaft in Österreich geschaffen: Denn im Gegensatz zu Deutschland wurde ein Institut für Zeitgeschichte in Österreich erst 1966 gegründet. Im Vorfeld spielten vor allem die Volkshochschulen eine wichtige Rolle in der Vermittlung und Popularisierung von Forschung über die Geschichte Österreichs zwischen 1918 und 1945 ˆ wie auch Christian Stifter in seinem Aufsatz ≥Aspekte der Demokratiezentriertheit, moderne Erwachsenenbildung am Beispiel der Popularisierung von Wissenschaft„ hinweist: ≥In dieser Situation war es vor allem die Einrichtung Volkshochschule, die sich nicht scheute, das in hohem Maße konfliktbesetzte ≥heiße Eisen„ der Österreichischen Zeitgeschichte zwischen 1918 und 1945 anzugreifen„. Die ersten Vorlesungen wurden bereits im Jahr 1946/47 in der Wiener Urania angeboten zur Dichtung in der Emigration ≥Verfemt und geächtet„.

Die späte Institutionalisierung der Zeitgeschichte an Österreichs Universitäten Mitte der 60er Jahre verhinderte und verzögerte eine umfassende Erforschung. Doch die Situation änderte sich auch danach nur langsam. Wenn Gerhard Botz in seinem zweiteiligen Artikel über die Situation der Zeitgeschichte vor allem in den 70er und 80er Jahren auf eine Vervierfachung der zeitgeschichtlichen Publikationen hinweist, fällt jedoch bei einer genaueren Untersuchung der Themen der Diplomarbeiten und Dissertationen auf, dass bis ins Jahr 2001 die NS-Herrschaft in Österreich mit Vorgeschichte und Folgen nur einen kleinen Teil des Forschungsinteresses ausmacht, denn zwischen 1993 und 2001 befassen sich nur 15,7% der Diplomarbeiten mit diesem Thema.

Eine Auswertung der Diplomarbeiten am Institut für Zeitgeschichte Wien im Zeitraum von 1993 und 2001 zeigt wie zahlenmäßig gering selbst hier Arbeiten zum Nationalsozialismus auf dem Gebiet der damaligen ≥Ostmark„ vertreten sind. Im Zeitraum zwischen 1993 und 1996 wurden 294 Diplomarbeiten abgeschlossen. Zum Themenkreis NS-Herrschaft in Österreich können nur 13%, das sind 39 Arbeiten, gezählt werden. Wenn diese wissenschaftlichen Arbeiten thematisch zugeordnet werden sollen, so finden sich zu Minderheiten und speziellen Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel Behinderte, Schlurfs und die Situation der katholischen Kirche oder der Situation an der medizinischen Fakultät 9 Arbeiten, Detailstudien zu Konzentrationslager und Pogrom 5 Arbeiten, zu Fragen der Ideologie und der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit im Nachkriegsösterreich jeweils 6 Arbeiten, während 5 Lokalstudien vorlagen. Drei Diplomarbeiten hatten den Alltag zum Thema, während sich zwei mit der Situation der Juden und jüdischen Organisationen auseinandersetzten und nur je eine Arbeit die Frage der Emigration, des Widerstandes und des Rechtsextremismus beleuchtet haben.

Im Zeitraum zwischen 1997 und 2001 ist ein prozentueller Anstieg der Diplomarbeiten zum Bereich NS-Herrschaft in Österreich zu verzeichnen: Von 120 verzeichneten Arbeiten beschäftigen sich 21,6%, das sind 26, mit diesem Themengebiet. Nach Themengebieten zusammengefasst sind es sieben Lokalstudien, fünf Arbeiten zu Konzentrationslagern, fünf zur Situation des Nachkriegsösterreich, jeweils drei zu Fragen des Widerstandes und zur Situation von Minderheiten. Die Ideologie des Nationalsozialismus und die Frage des Exils behandeln lediglich 2 Arbeiten.

Bei der Frage der Dissertationen am Institut für Zeitgeschichte können für den Zeitraum zwischen 1965 und 1993 bei 173 in diesem Zeitraum angenommenen wissenschaftlichen Arbeiten lediglich 13,8%, das sind 24, dem unmittelbaren Themengebiet der NS-Herrschaft in Österreich zugeordnet werden. Nach Themengebieten geordnet befassen sich jeweils vier mit dem Widerstand, Fragen der Konzentrationslager und dem Kriegsende, jeweils zwei sind lokalhistorische Studien, stellen eine Auseinandersetzung mit Fragen des Exils, des ≥Anschlusses„ und des Umgangs mit der NS-Zeit und der NS-Ideologie dar, während eine Dissertation im weitesten Sinne das Schicksal einer Minderheit beleuchtet.

Im Zeitraum von 1997 bis zum Jahr 2000 sind von 20 eingereichten Dissertationen sechs dem Themengebiet der NS-Herrschaft zuzuordnen. Wobei zu diesen Themengebieten die Situation der jüdischen Kultusgemeinde, der Kriegsgefangenen, der Emigration jüdischer Ärzte und des Sonderkommandos in Auschwitz-Birkenau gehören.

Bei einer Untersuchung der Lehrveranstaltungen des Instituts für Zeitgeschichte muss zwischen Vorlesungen, Seminaren, Proseminaren und Arbeitsgemeinschaften unterschieden werden. Ein Blick auf das Angebot der letzten 10 Jahre zeigt, dass der Begriff des NS-Täters zumindest im Titel von Lehrveranstaltungen ebenso zum erstmals im Jahr 2000 auftaucht, wie die Geschichte der österreichischen Eliten während des Nationalsozialismus.
Der Widerstand in Österreich, der am Beginn der österreichischen Zeitgeschichte eine wesentliche Rolle gespielt hat (≥Die erste große Aufgabe, die an das junge Institut herangetragen wurde, war die Durchführung des Projekts Österreichischer Widerstand 1938 bis 1945„, wie Peter Malina in seinem Aufsatz über die Geschichte des Instituts für Zeitgeschichte schreibt ) steht dezidiert erst wieder 1996 auf dem Programm. Innovationen scheinen in diesem wissenschaftlichen Bereich eine Aufgabe für Einzelkämpfer zu sein.
So wäre zum Beispiel die Geschichte der Zwangsarbeit in Österreich und die Geschichte der Nebenlager des KZ Mauthausens ohne Florian Freund und Bertrand Perz nicht existent.

Nach einem Blick auf das Angebot am Institut für Zeitgeschichte liegt die Vermutung nahe, dass wissenschaftliche Innovationen im Bereich der Zeitgeschichte bei der Vermittlung durch Neue Medien oder der Frage der Politik des Gedenkens zwar zu finden sind, für andere gesellschaftspolitisch äußerst kontroversielle Themenkomplexe jedoch vermisst werden müssen, wie dies zum Beispiel im Fall einer Tätergeschichtsschreibung oder der Frage des Raubes an jüdischem Eigentum zutrifft. Und klare Worte für historische Tatsachen wie ≥Die Ermordung der österreichischen Juden„ sind nicht nur am Institut für Zeitgeschichte erst ein Phänomen des neuen Jahrtausends. Die Umschreibung dieser Tatsache mit Shoa oder Holocaust sind zwar geläufig, jedoch verharmlosend oder schlichtweg falsch. ≥Die Begriff Shoa oder Holocaust sind Fremdworte. Ihre Verwendung im Deutschen verdeckt diese Realität.,Die Übernahme des Begriffs Shoa durch Nichtjuden, die des Hebräischen nicht mächtig sind, wirkt plump, sogar anbiederndŒ, meint der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn zu Recht. Der Versuch, sich mit den Opfern zu identifizieren zu wollen, ist falsch verstandene Empatie.„ Die Analyse von Gerhard Botz ist in diesem Sinne zutreffend: ≥In einem gewissen Maße kann man pointiert sagen, wo das ≥politische Gewissen„ der meisten Österreicher schwieg oder von massiven Tabus blockiert war, schwiegen zwar nicht alle Zeithistoriker, wohl aber schwieg die österreichische ,ZeitgeschichteŒ insgesamt betrachtet.„

Ab wann gibt es Täter?
Übersicht über die Lehrveranstaltungen am Institut für Zeitgeschichte
Im Jahr 1990 sind dem Themenbereich NS-Herrschaft in Österreich und die Folgen nur die Proseminare ≥Rechtsextremismus in Österreich„ und ≥Das Ghetto in Lódz 1940-1944„, im weiteren Sinne auch noch ≥Flucht und Vertreibung als zentrale Phänomene unseres Jahrhunderts„ zuzuordnen.

Im Jahr 1991 ist die Vorlesung ≥Geschichte Mitteleuropas mit besonderer Berücksichtigung Österreichs seit 1918„ angesetzt. Ein Proseminar beschäftigt sich mit ≥Minderheiten und Randgruppen in Österreich seit 1918„, zwei Seminare mit der ≥Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus„ und ≥Rassismus und Ökonomie im NS-Herrschaftssystem„. Zu letzterem Thema gibt es auch eine Arbeitsgemeinschaft. ≥Kunstpolitik als Herrschaftslegitimierung im Nationalsozialismus„. Im Jahr 1992 ist die Vorlesung ≥Geschichte des Nationalsozialismus„ auf dem Programm und vier Seminare zu nennen: ≥Die Verfolgung von Sinti und Roma (Zigeuner)„ und ≥Angst und Vorurteile in der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert„, ≥Der neue Rechtsextremismus in Europa„. Mit dem Forschungsseminar ≥Nationalsozialistische Massenkriegsverbrechen zu Kriegsende„ wird erstmals ein innovativer Schwerpunkt auf einen bislang unerforschten Bereich der NS-Lokalgeschichte gelegt. Je ein Proseminar beschäftigt sich mit dem Münchner Abkommen 1938, den Konzentrations- und Vernichtungslagern im Nationalsozialismus und dem Thema ≥Zu den Endlösungen der sozialen Frage im Nationalsozialismus„. Arbeitsgemeinschaften sind den Konzentrationslagergedenkstätten im gesellschaftlichen Wandel gewidmet.

Im Jahr 1993 sind die Seminare ≥Sprache und Politik, zum Diskurs der Neuen Rechten„ und ≥Antifaschistischer Widerstand in Europa„ zu nennen sowie Arbeitsgemeinschaften zur ≥Politischen Dimension von Massenvergewaltigungen 1945„ und ≥Gerichtsverfahren als historische Quelle am Beispiel juristischer Aufarbeitung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen„.

Im Jahr 1994 das Seminar ≥Euthanasie in Europa im 20. Jahrhundert„. Proseminare behandeln die Themen ≥Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus„, ≥Faschismustheorien„, ≥Der Zweite Weltkrieg ˆ Kriegserlebnis und Kriegserinnerung„, ≥Arbeit im Nationalsozialismus„. Im Jahr 1995 sind die Vorlesungen ≥Geschichte des Nationalsozialismus„ und ≥Roma und Sinti im Europa des 20. Jahrhunderts„ ≥Geschichte Österreichs von 1918 bis heute„ auf dem Programm. Ein Seminar behandelt ≥Österreichbewusstsein und österreichische Identitiät„. Proseminare zu den Themen ≥Nationalsozialistische Konzentrationslager„ und ≥Zwangsarbeit im Nationalsozialismus„.

Im Jahr 1996 ist erstmals seit sechs Jahren wieder eine Vorlesung zum ≥Widerstand in Österreich 1938-1945: Voraussetzungen ˆ Formen ˆ Stellenwert„ angesetzt. Die Vorlesung ≥Geschichte Österreichs von 1918 bis heute„ wird fortgesetzt. Seminare behandeln ≥Holocaust. Genese und Verlauf. Wahrnehmung und Historiographie„, ≥Nationalsozialismus in Österreich: Rassenhygiene, Erbgesundheit, Euthanasie„, ≥Die Tagebücher und Memoiren als Quelle für das Studium der europäischen jüdischen Ghettos im 2. Weltkrieg„, ≥Politische Justiz, Klassenjustiz, Tendenzjustiz in Österreich 1945 bis heute„. Proseminare zu ≥Nationalsozialistische Ghettos„ und ≥Heimatfront, home front. Vergleichende Perspektiven auf Frauenarbeit im 2. Weltkrieg: USA, Großbritannien, Deutschland.„

Im Jahr 1997 sind die Vorlesungen ≥Judenverfolgung und negative Sozialpolitik im Dritten Reich„ ≥Herrschaft in Österreich 1938-1945: Terror ˆ Verbrechen ˆ Verfolgung„ zu erwähnen. Es gibt überdies das erste Seminar ≥Widerstand in Österreich 1938-1945„, das erste Proseminar ≥Entnazifizierung in Österreich nach 1945„ und ≥Politische Soldaten in Nationalsozialismus„. Ein Proseminar zu ≥Das Konzentrationslager Mauthausen„, Seminare ≥Kontroversen um den Nationalsozialismus„, ≥Antisemitismus in Österreich (20.Jahrhundert) und ≥Film und Holocaust„.

Im Jahr 1998: Die Vorlesung ≥Anschluß: Fakten ˆ Interpretationen ˆ Mythen„ ≥Die historischen Voraussetzungen des Holocaust„ ≥Widerstand und Verfolgung in Österreich 1938-1945„ und ≥Anschluß und Münchner Abkommen. Österreich und die Tschechoslowakei. Die Seminare ≥Politische Symbole und Befreiungsrituale in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen„ ≥NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945: Terror ˆ Verbrechen ˆ Verfolgung„, ≥Neuere Forschungen zu den Entscheidungen der Jahre 1941/42 in den Machtzentralen Hitlerdeutschlands über den Mord an den europäischen Juden„, ≥Oral History des Überlebens in nationalsozialistischen Konzentrationslagern„ ≥Zwischen Anschluss und Krieg. Etablierung des nationalsozialistischen Systems in Österreich„. Die Proseminare ≥Kollaboration im 2. Weltkrieg„, ≥Vom Fremdarbeiter zum Gastarbeiter. Ausländische ArbeiterInnen in Österreich 1938-1970„, ≥Der Anschluss„

Im Jahr 1999 werden die Vorlesung ≥Holocaust in Kunst und Kultur„, ≥Widerstand in Europa 1939-1945„, ≥Faschismus ˆ Geschichte und Erinnerung„, ≥NS-Herrschaft in Österreich: Rassismus ˆ Rassenhygiene- Genozid„ angeboten. Die Proseminare ≥Vergangenheit, die nicht vergeht. Zum Umgang mit Zeitgeschichte im öffentlichen Diskurs„, ≥Die Ermordung der österreichischen Juden 1938-1945„, ≥Erinnerung und Gedenken in nationalsozialistischen Konzentrationslagern„ und die Seminare ≥Volksmeinungen zum Nationalsozialismus vor und nach 1945„, ≥Oral History des Überlebens in Ravensbrück und Mauthausen„, ≥Antisemitismus seit 1945„ sowie die Exkursion ≥Die Tötungslager im Generalgouvernment„.

Im Jahr 2000 sind die Vorlesungen ≥Politische Auseinandersetzung im Nationalsozialismus und Faschismus nach 1945„, ≥Nationalsozialismus als Bewegung„, ≥NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945„ und Täter ˆ Opfer ˆ Gegner„ im Programm zu finden. Die Proseminare ≥Der Nürnberger Prozess„, ≥Gedenken und Erinnerungspolitik in KZ-Gedenkstätten„, ≥Unbewusste Zeitgeschichte. Über das Fortwirken des Nationalsozialismus auf die folgenden Generationen in Österreich„, ≥Die Verfolgung von NS-Verbrechern im internationalen Vergleich„, ≥Politik mit der Vergangenheit. Markierung im österreichischen Gedächtnis an den Nationalsozialismus„, ≥Alltagsleben im Nationalsozialismus„, ≥Erhebungen zu österreichischen Eliten im Nationalsozialismus„; Seminare zu ≥Österreicher in Theresienstadt 1942-1945„, ≥Nationalsozialismus als politisches Thema nach 1945„ und Exkursionen zu ≥Widerstand und Verfolgung und regionale politische Kultur im Salzkammergut während der NS-Zeit.„ ≥Nationalsozialismus ˆ Verfolgung und Erinnerung„ Im Jahr 2001 wird je ein Seminar ≥Österreichische NS-Täter„ und ≥Sozialstruktur der NSDAP„ angeboten und eine Exkursion ≥Mauthausen: KZ-Gesellschaft und Zivilbevölkerung„.

Die Wiener Volkshochschulen: Ein paar Promille Zeitgeschichte
In der Vermittlung zeitgeschichtlicher Forschung hatten die Volkshochschulen eine besondere Rolle gespielt, denn es waren Initiativen von Lehrenden an den Volkshochschulen, die den Boden für die universitäre Forschung bereiteten. Von dieser Bedeutung scheint in den neunziger Jahren nicht mehr viel über geblieben zu sein: Bildungsangebote, Vorträge und Ausstellungen an den Wiener Volkshochschulen nehmen im Programm der 18 Wiener Volkshochschulen nur mehr eine untergeordnete Rolle ein.

Im Jahr 1997 waren es 24 Veranstaltungen, die angeboten wurden: Der Themenkreis reicht von ≥Rechtsextremismus„, ≥Geschichte der Minderheiten„, ≥Künstler und Führer„, ≥Die Juden der Landstraße„ bis hin zu ≥Symbole, Rituale und Mythen als Instrumente der Politik„, um einige Vortragstitel zu nennen. Im Jahr 1998 wurden 25 Vorträge angeboten: ≥Rassismus ˆ historisch gesehen„, ≥Faschismus und Nationalsozialismus„, ≥Der braune Kult„, ≥Euthanasie im Nationalsozialismus„, ≥Spezies Mensch und Saal der Rassen„, ≥Rassenfotografen und Schädelmesser„, ≥Gestapo in Wien 1938-1945„ und der österreichische Widerstand waren Themen.

Im Jahr 1999 waren es rund 37 Vorträge, wobei diese Steigerung lediglich auf eine Vortragsreihe der Seniorenakademie der Volkshochschule Wien-Nordwest zurückzuführen ist, die sich mit 15 Vorträgen in der Statistik niederschlägt.

Antisemitismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit Konzentrationslager als Ort der Massenvernichtung, Jüdischer Alpinismus, Thule: die Geburt des Nationalsozialismus, Veranstaltungen mit dem Zeitzeugen Otto Ascher unter dem Titel ≥Fast ein Appenzeller„, Theozoologie des Lanz von Liebenfels sind die Themen dieses Jahres.

Im Jahr 2000 sind rund 20 Vorträge zum Thema Nationalszialismus zu finden: ≥Geschichte: Rückkehr unerwünscht„, ≥Rassismus„, ≥Kreuz und Hakenkreuz„, ≥Sprache und Rhetorik des Alltagsfaschismus„, ≥Geflohen mit Josef Schleich„, ≥Und plötzlich waren sie alle weg: die Juden in Hietzing„

Im Jahr 2001 sind es 21 Vorträge, das Angebot umfasst Themen wie Antisemitismus, Historische Verwurzelung von Rassismus und Sexismus, Rassentheorien und Xenophobie sowie einen Nachmittag mit Vertretern der österreichischen Historikerkommission: ≥Die Historikerkommission berichtet„. Ein Symposium ≥Aus der Geschichte lernen: Sudetendeutsche und Palästinenser.„

Nicht viel anders ist das Programm des aktuellen Semesters im Frühjahr 2002 mit 17 Angeboten von ≥Zivilcourage und Antirassismustraining„, ≥Kultur des politischen Widerstandes„, einer Ausstellung und Vortragsreihe über die Wannsee-Konferenz bis hin zu einer Buchpräsentation ≥Flüsterwitze und Spottgedichte unterm Hakenkreuz„.

Im Schnitt gab es demnach in den letzten Jahren in den Wiener Volkshochschulen zwischen 10 und 30 Veranstaltungen von mehr als 12.000 Kursen, die sich mit der österreichischen NS-Geschichte und den Folgen auseinandersetzen, wobei jedoch noch zu bedenken ist, dass angekündigte Vorträge nicht unbedingt auch stattgefunden haben müssen und eine Absage bei weniger als drei Besuchern zu berücksichtigen ist. Die zeitgeschichtlichen Veranstaltungen machen also bloß 10% jener Vorträge aus, die im Kapitel Geschichte und Politische Bildung zusammengefasst sind. Von den 18 Wiener Volkshochschulen finden sich lediglich bei sieben Volkshochschulen und dem Jüdischen Institut für Erwachsenenbildung kontinuierlich und ohne Unterbrechung Angebote zu diesem Themenbereich. (Eine Verschiebung der Angebote weg von der Ereignisgeschichte in Richtung Antirassismus, Sprache und Rassismus, spiegelt auch die politischen Notwendigkeiten wider.)

Der Rückgang an zeitgeschichtlichen Angeboten kann mehrere Ursachen haben: Die Programmplaner sehen die Wichtigkeit des Themas nicht mehr oder sie tragen mit dem verminderten Angebot nur der schwachen Nachfrage Rechnung. Die Vermittlung zeitgeschichtlicher Forschung ist ein schwieriges Unterfangen und ohne entsprechendes Publikum nicht zu betreiben.

Die Tage der traditionellen Formen, wie Vortrag und Diskussion, sind gezählt. Die bloße Vermittlung von Wissen haben längst die Medien übernommen, oder klarer gesagt, sie täuschen zumindest die Übernahme dieser Rolle vor. Der Rückgang der Angebote muss somit auch als Ausdruck eines entsprechenden Desinteresses gesehen werden, denn auch in den Schulen sind Klagen von Schülern über eine Überpädagogisierung des Holocaust zu hören. (≥Not only in Germany and Austria but also in the United States and Italy teachers report that pupils increasingly show defensive reactions towards dealing with the Holocaust in class, for they share the opionion of being already overfed with the topic„ Die bloße Vermittlung von Fakten ist nicht mehr gefragt und die Schwierigkeiten, zeitgeschichtliches Wissen an die Menschen zu bringen, Interesse zu wecken, werden größer.

Bei der Fülle an publizierter und gesendeter Zeitgeschichte ist natürlich die Frage zu stellen, ob die bloße Konsumation, die Passivität miteinschließt, genügt, genügen kann, oder eine Auseinandersetzung nur vortäuscht. Liegt der Schlüssel nicht gerade im (Streit)gespräch, in der Diskussion, die eine lebendige und umfassende Aneignung erst ermöglicht? Wenn die traditionellen Formen der Vermittlung auf wenig Gegenliebe stoßen, sind andere Formen gefragt, das Innovationspotential in den Volkshochschulen ist jedoch gering und Initiativen auf diesem Gebiet an einer Hand abzuzählen. Die Zeiten der Geschichtswerkstätten in Ottakring (Alltagsleben) und Floridsdorf (Lofag ˆ Geschichte der Lokomotivfabrik) sind offenbar vorbei. Die Wanderausstellung ≥Kündigungsgrund Nichtarier„ der Volkshochschule Simmering, die ein Ergebnis der gleichlautenden Publikation ist, kann als eine der nachhaltigen Initiativen auf diesem Gebiet genannt werden.

Die Volkshochschule Simmering liefert auch in der Begehung des Bezirkes in Form eines Gedenkzuges, der an jenen Stellen Halt machte, wo es eben keine Gedenktafeln für Ermordete und Vertriebene gibt und diese zumindest kurzfristig anbrachte, ein Beispiel, wie nicht auf Teilnehmer gewartet, sondern die Gratwanderung zwischen Vermittlung, Gedenkanstoß, Aktionismus und Provokation beschritten wird. Eine Fortsetzung findet das Projekt ≥Kündigungsgrund Nichtarier„ auch im Internet, wo die Geschichte der jüdischen Bewohner in Gemeindebauten und der Juden in Hietzing auch in Stadtplänen aufgearbeitet und Interessierten zugänglich gemacht werden wird. Versuche, Geschichte auf andere Art zu vermitteln, hat sich der Verein Clio des Historikers Mag. Haimo Halbrainer zum Ziel gesetzt: Wanderungen auf den Spuren österreichischer Partisanen im Hochschwabgebiet oder auf die Koralpe, die gemeinsam mit der Volkshochschule Hietzing und Leoben durchgeführt wurden, sind sicherlich lebendiger als jeder Vortrag.

Dass mit Gesprächskreisen wie in Simmering und in Hietzing auch Anstöße für die Forschung ˆ zum Beispiel der Dokumentation der Geschichte der Juden ˆ gegeben werden können und auch mit einer entsprechenden Reaktion und Beteiligung der Bevölkerung zu rechnen ist, zeigen diese Beispiele. Die zweiteilige Ausstellung in der Volkshochschule Hietzing ≥Gelebt und Vergessen„ und ≥Die Häuser hatten Gesichter„, bei der begleitend die Bewohner von Wohnungen, in denen bis 1938 Juden gelebt haben, in Briefen informiert wurden und zur Mitarbeit an der Veranstaltung und der Spurensuche aufgefordert wurden, sind Beispiele, dass es nicht genügt, auf TeilnehmerInnen zu warten und Schwellenängste abzubauen, sondern dass man die Schwellen selbst aktiv überschreiten muss.

Durch verschiedene Aktivitäten wie Medienkoffer, LehrerInnenfortbildung und den seit 20 Jahren bestehenden ReferentInnenvermittlungsdienst zur Zeitgeschichte, der es SchülerInnen und LehrerInnen ermöglicht, ins Gespräch mit ZeitzeugInnen zu kommen, hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur in den letzten Jahren versucht, in die Breite zu wirken. Wenngleich über die Dimension dieser Politischen Bildung an Österreichs Schulen in Bezug auf die Vermittlung der Zeit des Nationalsozialismus keine Zahlen genannt werden können, wieviele Schulen wieviele ZeitzeugInnen angefordert haben in welchem Zeitraum angefordert haben, welche positiven Kontinuitäten zu verzeichnen sind und wo hartnäckige Verweigerer dieses Themenbereichs auszumachen wären, muss alleine in Wien von einem Erfolg der ≥Pädagogik des Gedenkens„ gesprochen werden, da eine Reihe von Schulen in Wien Ende der 90er Jahre mit Gedenkaktivitäten an die Öffentlichkeit getreten sind. So wurden auf Initiative von SchülerInnenprojekten immerhin 12 Gedenktafeln in Schulen errichtet, die an ehemalige SchülerInnen, die dem Rassenwahn zum Opfer fielen und/ oder vertrieben wurden, erinnern. Die Tafeln sind Ausdruck einer intensiven Beschäftigung im Zuge der Projekte. Die Liste reicht vom Akademischen Gymnasium, dem Bundesrealgymnasium Schottenbastei und dem Bundesgymnasium Stubenbastei bis hin zur Haupschule Staudingergasse und des Bundesrealgymnasium Unterbergergasse/ Karajangasse. Ihren Niederschlag finden diese Projekte zum Teil auch in Fachbereichsarbeiten und schriftlichen Dokumentationen von Projekten. Im Dokumentationsarchiv sind 23 Fachbereichsarbeiten verzeichnet: Die Bandbreite reicht von ≥Altenfelden zur Zeit des Nationalsozialismus„, ≥Das KZ- Nebenlager Wiener Neudorf„ bis hin zu ≥Rechtsextremes Gedankengut„ und ≥Widerstand von Jugendlichen im Dritten Reich„. An Schulprojekten sind in der Bibliothek 28 Arbeiten verzeichnet: Von einer Spurensuche nach jüdischen Geschäften in Innsbruck bis hin zur Zeitung ≥Gestern Juden heute Ausländer; Horrorvision oder Realität„.

≥Nicht schon wieder Hitler, nicht schon wieder Konzentrationslager„, sind Stoßseufzer, die nicht nur Unbelehrbare wie jene im Prolog zitierte Dame ausstoßen oder sich diesen Stoßseufzer angesichts einer ≥political correctness„ nur denken trauen. Da hilft auch der Hinweis nicht, dass erst nach mehr als 60 Jahren das Ausmaß des Raubes dokumentiert werden kann. Die Vermittlung der NS-Herrschaft in Österreich und der Umgang mit Vergangenheit sind mehr denn je eine Herausforderung für Universitäten, Schulen und Volkshochschulen, denn je länger der zeitliche Abstand zu den Ereignissen wird, desto größer wird auch der Legitimitätsdruck vor allem dann, wenn es Tabus in der Zeitgeschichte wie zum Beispiel die Frage der Vertreibung zu Kriegsende gibt, ein Thema, das aus Angst vor wahnwitzigen Aufrechnung oder Applaus von der ≥falschen Seite„ großteils von seriösen HistorikerInnen gemieden wird. (Ausnahmen ist das Proseminare 1990 ≥Flucht und Vertreibung als zentrale Phänomene unseres Jahrhunderts„ und das Seminar im Jahr 2001 ≥Sudentendeutsche„) Gerade in der hitzigen, emotionalen und politisch instrumentalisierten Debatte über die Benes-Dekrete zeigt sich auch ein zeitgeschichtliches Vakuum. Je näher und unmittelbarer die Geschichte vermittelt wird, desto größer sind die Chancen auf Akzeptanz und desto höher ist die Bereitschaft zuzuhören: Die Lokalgeschichte des Nationalsozialismus hat noch viele weiße Flecken, vielleicht liegt ein Stück Zukunft in einer Lokalgeschichte, die nicht mit dem Gartenzaun der Beschränktheit umgeben ist, sondern um die Zusammenhänge und die bürokratische Vernetzung der Ausgrenzung und des Raubes weiss.

Epilog

≥Das ist nur ein Teil der Geschichte, warum wird immer nur dieser Teil gezeigt, warum sehe ich nichts über die Kriegsgefangenschaft, die Bomben in Wien, die Vertreibungen„, meinte ein weißhaariger Mann mit Stock, der in Stalingrad gekämpft hatte beim Besuch der Ausstellung über ≥Juden in Hietzing„. Auf die Erklärung, dass hier nun endlich begonnen werde, die Geschichte der Juden des Bezirkes zu schreiben und es nach 60 Jahren höchste Zeit dafür sei, war er zwar nicht restlos überzeugt, gab aber zu gekommen zu sein, weil er einen jüdischen Mitschüler hatte und nun sehen wolle, ob er etwas über ihn erfahren könne. Zumindest gekommen ist dieser Besucher, auch wenn er nicht einverstanden war mit der Fixierung auf das Thema. Nach mehr als 70 Jahren überlegt er, was mit seinem jüdischen Mitschüler passiert ist. Spät, zu spät? Besser als nie, oder?


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