Robert Streibel

Mein blauer Fisch ist ein Hetzer

So gerne hätte ich ihm die Goldene Regel beigebracht, aber vergeblich.

Robert Streibel

Mein blauer Fisch ist vor zwei Wochen gestorben. Es muss so um den 11. Oktober gewesen sein, Der Zeitpunkt, die genauen Umstände des Todes wurden nicht in den Nachrichten gemeldet und die Trauer hielt sich in Grenzen. Die Trauergemeinde hätte nur aus mir bestehen können, da meine Frau die Wasserwelt zwar akzeptiert, aber lieber schwimmt, als Wasser im Kleinformat zu schätzen. Meine Trauer hielt sich auch in Grenzen. Ehrlich gestanden habe ich ein wenig Genugtuung empfunden. Ob ein Fisch ein guter Mensch sein kann weiß ich nicht, ob es wirklich gute und böse Fische gibt, da würden mir Fachleute sicherlich entgegnen, dass derartige moralische Kategorien nichts im Tierreich verloren haben, höchstens in Disneyfilmen. Der blaue Fisch hatte im Gegensatz zu sprechenden Tieren keinen Namen also nicht Scar und schon gar nicht Simba. Er war der Herrscher in seinem Reich und seit Jahren war es eine Diktatur. Schon wieder dieser Irrglaube, dass Demokratie auch bei den Kleinstwesen eine Rolle spielen könnte. Die Abstimmung der Mostfliegen, die Briefwahl der Tauben. Er war kein angenehmer Zeitgenosse, der blaue Fisch. Ich glaube er war schuld, dass sich mein Aquarium zu einem Rassisten-Biotop verwandelt hat. Ich musste machtlos zusehen und alle meine Bemühungen waren vergeblich.

Ich habe gedacht, ich könnte dem blauen Fisch etwas Lernen, ich könnte ihn erziehen. Ich war sogar der Auffassung, ihm die Goldene Regel beizubringen. Hans Küng und die Initiative Weltethos wären vielleicht ein wenig stolz gewesen, wenn es geklappt hätte. Wie hier im Wasser, so im Leben in der Tat. Tu niemanden etwas, was du nicht willst, dass man dir tut. Die Goldene Regel spielt in allen Religionen eine Rolle. Im Alltag ist sie so weit weg von gelebter Praxis wie sie in meinem Aquarium Utopie geblieben ist.

Wie es gekommen ist, dass Fremde in meinem Wasserreich nicht geduldet wurden? Ich kann den Tag, die Wochen nicht mehr nennen. Die Population in einem Aquarium ist keine fixe Angelegenheit. Migration ganz offiziell, Einwanderung im Plastiksackerl, abgesprochen mit Experten, die Auskunft über Verträglichkeit geben können. Welche Sorte harmoniert mit welcher. Alles geregelt, fast alles wissenschaftlich erwiesen. Nur nicht in meinem Aquarium. Die Widerlegung der besseren Einsicht und das täglich vor Augen.

Der Wunsch für meine Zuwanderung war klar: Natürlich sollte etwas Farbe in die Wasserecke kommen, das Aquarium steht in einer Wohnzimmerecke. Und Bewegung und Leben verleiten zum Verweilen zum Zuschauen. Doch ab einem gewissen Datum überlebten die Zuwanderer – männlich und weiblich – nur kurz. Es war oft nur schwer zu ertragen. Mein blauer Fisch hat richtig gehetzt, ein Hetzer wie es in keinem Bilderbuch steht. Natürlich können Fische nicht sprechen, aber die Neuen zu hetzen, dazu braucht es keine Sprache, er hat sie von einer Ecke zur anderen getrieben, hat ihnen keine Ruhe gelassen. Ganz egal, wo sie sich auch verkrochen haben. Er hat sie gejagt, wann immer es ihm gepasst hat. Mein blauer Fisch ist nicht alleine. Es gibt zwei weitere Bewohner, sie sehen fast gleich aus und sind gleich groß, sie haben zugeschaut oder besser gesagt das ganze Spiel ignoriert. Die Grünen sind bei mir nicht vertreten, Pflanzen sind eine kümmerliche Sache. Und dann ist da noch ein alter weiser Wels. Mit seinen 20 Jahren kann ihn nichts erschüttern, er hat alles erlebt sich ebenfalls arangiert und meldet sich nur hin und wieder am Abend bei den Nachrichten zu Wort. Wenn der Futterautomat sich Zeit lässt, schlägt er das Thermometer gegen die Scheibe.

Der blaue Fisch gab den Ton an. Die Goldene Regel – in pädagogische Fischpraxis übersetzt – hat bedeutet, dass ich mehrere Abende lang den unverträglichen Zeitgenossen mit einem Netz gejagt habe, von einer Ecke zur anderen. Ich habe ihm keine Ruhe gelassen. Das müsste er doch merken, dass das nicht angenehm ist, immer gehetzt zu werden. Wenn ich ihn erwischt hätte, ich hätte ihn im Klo entsorgt, so wütend war ich, weil die nette kleine bunte quicklebendige Welt innerhalb von Tagen wieder einmal mit dem Bauch nach oben schwamm. Ich habe den blauen Fisch nicht erwischt. Ich habe kapituliert und mich begonnen abzuwenden. Er ist gestorben, einfach so. Ich glaube nicht, dass sich die restlichen gegen ihn verbündet haben und Fußspuren eines Geheimdienstes fand ich keine auf dem Parkettboden.

Weil ich mein Aquarium etwas zu ignorieren begann, immer dassselbe, keine Abwechslung, immer das gleiche Spiel und die blauen Provokationen, habe ich den Tod erst nach Tagen entdeckt. Den Geruch will ich nicht beschreiben. Und was jetzt? Wird es einen Neubeginn geben? Wenn ich kontrollierte Zuwanderung zulassen würde und trotzdem eine Neubelebung nicht stattfinden würde, weil wieder alle sterben würden…?

Es ist ja nur mein Aquarium und hat nichts mit dem Leben zu tun. Ich könnte das Wasser auslassen und unser Wohnzimmer neu gestalten. Doch ich warte ab. Die beiden gleichgroßen Fische scheinen ewig zu leben. Vielleicht gedeiht Grün jetzt besser, was ich aber nicht glaube und… Solange der alte Wels noch lebt, solange werde ich nichts ändern.


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