Robert Streibel

Das Schienbein von Jan Holländer oder Kunst bringt Erlösung

Robert Streibel

Erlösung durch Kunst? Oft versucht, kunstvoll und ergreifend erlebt, aber das Scheitern setzt immer dann ein, wenn die Kunst vorbei ist, manchmal auch schon vorher. ≥Toren wir auf Lind‚rung da zu hoffen. Wo einzig Heilung lindert„, meint Gurnemanz im ≥Parsifal„. Ein traditioneller Heilungsversuch. Die Wunde will nicht heilen, kein Bad hilft, natürlich auch keine Medizin. Der Speer muss die Wunde wieder schließen. Wagner hat Religion profanisiert. Karfreitag in der Oper, nicht in der Kirche, zumindest in Deutschland, Wien ist der Zeit voraus und zeigt den Parsifal immer am Gründonnerstag.

Christoph Schlingensief hat sich auch mit Parsifal infiziert, wahrscheinlich schon vor Bayreuth. Und der Hase zu Ostern hoppelt nicht über die Wiese, sondern wird von zarten Klängen und dem ≥Erlösung dem Erlöser„ von Maden zerfressen. Die Wunde von Schlingensief ist eine andere: Krebs. Erlösung durch Kunst, zurzeit als work in progress zu erleben.

Erlösung durch Kunst haben auch andere versucht. Gustav Mahler bringt Metaphysik und Transzendenz in den Konzertsaal, bei der Symphonie der Tausend zum Beispiel. Wagner oder Mahler. Doch das Scheitern der Erlösung ist hörbar.

Haben sie schon einmal gehört, was kurz vor Beginn des Erlösungsprozesses noch alles in den Bankreihen abgesondert wird, Tagestermine, Modetipps, Krankheiten, Reiseeindrücke, Ärger oder Stress und letzterer wird meist mit einem Ausblasen verbunden. Na gut, das ist vor der Erlösung, doch auch in der Pause sind die Gespräche nicht viel anders und auch danach konnte ich bislang keine graduellen Unterschiede feststellen. Am liebsten habe ich noch jene, die ihrem Nachbarn oder ihrer Nachbarin das Programm erzählen, begleitet von kurzen Ergänzungen, wann, wer, wo gesungen oder gespielt hat und wie das Wetter damals war und die Mehlspeise beim Kaffee vorher.

Keine Erlösung also. Das Scheitern wird regelmäßig hörbar begleitet durch Husten und dem Auspacken von Hustenzuckerln, dem leisen und langsamen Schließen von Handtaschen. Kunst kann nicht heilen und die Losung ≥Alle PatientInnen mit Kehlkopfdiphterie versammelt Euch im Musikverein, in der Oper oder im Konzerthaus„ wird befolgt, ohne dass dies plakatiert worden wäre. Ohne Organisation finden sich alle zusammen. So würden sie auf Erlösung hoffen, doch sie kommt nicht. Keine Linderung und keine Heilung.

Ich hatte alle Hoffnung aufgegeben, das Kunst Erlösung zur Folge haben könnte. Nach dem letzten großen Versuch dirigiert von Piere Boulez im Musikverein mit Mahlers VIII. weiß ich jedoch, dass es sich ereignen kann.

Kunst kann uns zwar verzaubern, aber die Realität vergessen wir deswegen nicht und tun trotzdem nicht, wonach uns eigentlich ist, weil wir ein bisserl erlöst wurden. Was war passiert?

Stille nach den letzten Zeilen ≥Das Weibliche zieht uns hinan„, Beifall und Begeisterung, gleichförmiges Klatschen sonst nur in Amerika oder in Russland zu hören. Dann streben alle zu den Ausgängen und vorne rechts steht Staatsoperndirektor Jan Holländer, er im Gespräch vertieft, seine Frau dezent im Hintergrund wie es sich gehört. Wir gehen hinaus und hinter mir sagt eine gut aussehende und modisch gekleidet junge Frau: ≥Ich würde ihm so gerne jetzt aufs Schienbein treten.„ Ich wusste, wen sie meinte, drehe mich um und sage ≥Soll ich ihnen behilflich sein?„ Vor uns mischt sich eine andere Besucherin ein, die zeitgleich einen ähnlichen Wunsch geäußert hat.

Der Auftritt von Staatoperndirektor Jan Holländer bei ≥Wir sind Kaiser„ ist unbeachtet geblieben. Bei dieser lustigen Gelegenheit hat der Direktor über Sängerin wie Anna Netrebko und Elina Garanca gesprochen, als handle es sich um bessere Prostituierte, beide würde er nicht von der Bettkante stoßen.

Kunst bringt Erlösung zumindest für kurze Zeit. Wir sind beim Staatsoperndirektor vorbeigegangen und haben sein Schienbein nicht beachtet und er weiß nicht, dass wir gemeint haben, dass er ein guter Direktor, aber ein alternder Macho ist.

5.5.2009


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