Robert Streibel

Die Holzstiege knarrt noch immer

Zu Besuch bei Ruth Rogers-Altmann in New York 2008

Robert Streibel

Jedes Ding hat seine Geschichte. Wir sitzen im schmalen Gang, der bis auf den letzten Zentimeter mit Bildern behängt ist, Ölgemälde stehen aber auch am Boden, viel Strand, Meer, Sportler und Künstler lassen sich erkennen, kräftige Farben: Lebensfreude. Die Eingangstür lässt sich knapp öffnen ohne an die Kunst anzustreifen, mit einer Tasche müssen schon akrobatische Fähigkeiten unter Beweis gestellt werden. Ruth verfügt über diese Körperbeherrschung bis heute. Viele Sportarten hat sie in ihrem Leben ausgeübt Tanzen, Turmspringen, Skifahren. Eine ist ihr geblieben. Doch dazu später, wenn der schmale Gang überwunden ist.

Die beiden chinesischen Türgötter blicken auf uns herab, ein großer Spiegel, eine koreanische Trommel hängt darüber. Die Klimaanlage im Raum läuft, ohne sie wäre es unerträglich heiß im Apartment in New York in diesem Juli.

Alles hat seine Geschichte. Das Abendessen ist fertig und wir trinken aus kleinen grünen Gläsern mit einem geschliffenen Muster, die Wassergläser passen dazu, kleine Pokale. Der Kenner würde sofort stutzen: Lobmeyr unverkennbar. Ich habe mich nur gewundert und beim Trinken erst innegehalten, als Ruth Rogers-Altmann ganz beiläufig erwähnt: Aus diesen Gläsern hat Göring schon getrunken. Ursprünglich standen mehr von diesen Gläsern in der Villa Hohenfels in Wien, Hietzinger Hauptstrasse Ecke Kopfstrasse. Wie es der Textilfabrikant Bernhard Altmann, der Schwiegervater von Ruth geschafft hat, diese Gläser wieder zurückzubekommen, dass weiß Ruth leider nicht. Im Versteigerungskatalog des Dorotheums vom Juni 1938 als das gesamte Inventar der Villa in fünf Tagen verkauft wurde, sind diese Gläser abgebildet, Gläser die später im Haushalt von Reichsfeldmarschall Hermann Göring auftauchen. Besondere Gläser, die Teil von Ruths Familiengeschichte geworden sind. Aus diesen Gläsern zu trinken, ist mehr als ein Triumph der Geschichte. Österreich in der Neuen Welt. Doch halt, das stimmt nur bedingt. Dass Ruth im März 1938 von einer Geburtstagsfeier für ihre Großmutter aus Prag nach dem „Anschluss‰ nicht mehr nach Österreich zurückkehren würde, das war für sie klar. Dass sie sofort in die USA gefahren ist, hat den Unmut des Vaters erregt, der selbst noch nach Wien zurückgekehrt ist, um noch einige Bauaufträge fertigzustellen. Arnold Karplus war ein Architekt des Roten Wiens, der 1928/29 den Friedrich-Dittes-Hof in Döbling geplant und gebaut hat. Der Vater mag zwar streng gewesen sein, doch Ruth hat es immer verstanden, ihren Willen durchzusetzen, dies war bei den Skiausflügen mit den Altmanns ebenso wie beim Abbruch der Schule in der Wenzgasse und der Bewerbung an der Kunstgewerbeschule. „Ich wollte nach Amerika, Österreich war mir zu rückständig, das Denken zu old fashioned. Das Essen war gut, aber das war für mich zu wenig. Später habe ich es dann mehr zu schätzen gelernt.‰

Im Gang im Apartment unmittelbar neben dem Eingang hängt auch ein bestickter Glockenzug mit Männern in verschiedenen Uniformen, die türkische Uniform ganz oben, ist nur mehr schwer zu erkennen. Auch dieses Stück hat eine weite Reise hinter sich und hing ursprünglich nur einige Straßen von der Altmann-Villa entfernt, in der St.Veitgasse 10, einem der Einfamilienhäuser in Hietzing, die Adolf Loos 1910 geplant hat. Vor dem Haus mit dem gewölbten halbtonnenförmigen Blechdach haben manche verächtlich ausgespuckt, erinnert sich Ruth, weil sie die Modernität des Hauses nicht ertragen könnten. Ruth Rogers-Altmann ist die Tochter des Architekten Arnold Karplus und die Familien waren mit den Altmanns natürlich bekannt. Alles hat seine Geschichte, auch die Liebesgeschichte zwischen Ruth und Hans Altmann. Wie für einander bestimmt sind jedoch bis zu ihrer Heirat im Jahr 1964, ein Kontinent, zwei Scheidungen und ein Krieg gelegen. Im Jahr 1949 überraschte Hans Altmann die Professoren, die Witwen der verstorbenen Lehrer und die Schulangestellten mit einem besonderen Geschenk. Alle bekamen je dreieinhalb Meter Kleiderstoff bester Qualität als Geschenk, ein Jahr zuvor hatte sich der ehemalige Maturant der Fichtnergasse mit einer großzügigen Zuckerspende eingestellt. Die Geschichte stapelt sich in diesen Räumen wie die Bilder, denn Ruth malt noch immer im Sommer ist sie an der Art Barge in Southampton zu finden, für meinen Besuch ist sie für einige Tage ins schwüle Manhatten zurückgekehrt. Die Bilder lehnen in den Ecken und überall wo Platz ist. Ihre Kunstausbildung begann in Wien an der Frauenakademie und an der Kunstgewerbeschule unter anderem bei Paris von Gütersloh.

Viel Geschichte findet sich in den Wohnräumen in Schachteln und die Mappen sind mit einem doppelten R versehen, spiegelbildlich, ein Logo, ein Markenzeichen. Kunst ist eine Seite des Lebens von Ruth, Skifahren eine andere, die ist natürlich nicht auf den ersten Blick zu erkennen, aber zwei Saisonen hat das Leben Strand und Skifahren, das wird klar nach einigen Minuten. Ruth kann von sich behaupten wohl die einzige noch lebende Skilehrerin zu sein, die bei Mathias Zsdarsky in die Schule gegangen ist. Ja die Einstocktechnik. Und dann ist da die Mode, die sie geprägt hat. Am Finger trägt Ruth einen großen, übergroßen Ring aus Türkis, Stil und Farbe, das ist keine Frage. An diesem Abend gibt es Hühnchen, Maiskolben, Brokkoli, Süßkartoffeln. Während ich die Unterlagen studiere, den langen Lebenslauf, in den Artikeln und Zeitungsausschnitten blättere, rieche ich, dass einige Kartoffeln zu viel von der Hitze abbekommen haben. Ich erwähne dies natürlich mit keinem Wort und esse die Kartoffel, schön knusprig könnte man auch sagen.

Am Ende des Dinners ganz nebenbei erwähnt Ruth, dass es eine Spezialität von ihr sei, auf das Essen auf dem Herd zu vergessen. ≥Heute habe telefoniert. Früher habe ich mich mit einem Buch ins Zimmer gesetzt und vergessen. Das war schon immer so und wird sich auch nicht mehr ändern.„ Wenn ich mit 90 noch so kochen kann… Die Leichtigkeit des Seins, ob man das lernen kann. Vor dem Essen Whisky, Eis in einem Becher, nachher Eis und Früchte. Der Wein steht auf der Anrichte, wo sich die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Alta in Utah befindet. Seit Jahrzehnten macht Ruth Urlaub dort Urlaub, um zu malen und skizufahren. Dass mit dem Skifahren, dass hat natürlich auch in Wien begonnen, im Wienerwald und später ist sie mit Fritz und Hans Altmann im Auto mitgefahren, den Bergen entgegen. Der Vater von Ruth wollte das nicht erlauben, doch Ruth hat sich heimlich aus dem Haus geschlichen. „Die Treppe aus Holz, die hat geknarrt, aber wir hatten auch eine Wendetreppe und die habe ich genommen.‰

Ein schelmisches Blitzen in den Augen, Selbstbewusstsein war für junge Frauen in den dreißiger Jahren keine Selbstverständlichkeit und es ist wohl kein Zufall, dass Ruth auch eine Schwarzwaldschülerin war. „Das war meine Schule, die die Schule von Eugenie Schwarzwald. Die Schülerinnen wurden wie Menschen behandelt und es gab auch eine Schülervertretung und Diskussion war überaus wichtig. Und der Dr. Taglicht, das war ein jüdischer Religionslehrer, der uns geprägt hat.„ Dass Taglicht auch die Flucht nach New York geglückt ist, hat sie nicht gewusst. Was war das für eine Schule, was waren das für Lehrer, die erinnert werden nach weit mehr als 70 Jahren. Ja der Dr. Taglicht. Am nächsten Tag fahren wir im Taxi Richtung Brooklyn, um einen anderen Emigranten zu besuchen. Fred Terna, ist ebenfalls Maler und seine Frau Rebecca arbeitet als Ärztin. Im Taxi ist Dr. Taglicht für Ruth plötzlich wieder lebendig mit seinem Zuspruch, mit seiner Aufmunterung der Schülerinnen. Leider ist Ruth nicht in der Schwarzwaldschule geblieben, die Familie ist nach Hietzing übersiedelt so besuchte sie die Wenzgasse. Diskutieren war dort nicht mehr wichtig. ≥Ich habe immer wieder neues ausprobiert und mich einfach in die Kunstgewerbeschule angemeldet, ohne meinen Eltern etwas zu sagen. Selbstbewusstsein ist eine Vorstufe des Erfolgs und erfolgreich war sie und wenn es nötig war, hat sie auch ihren Namen den Notwendigkeiten angepasst. Di Roggero hieß eine von ihr konzipierte Modelinie. Das war einfach notwendig im Jahr 1961. Bei einer Modeschau im Palazzo Pitti, da musste den ZuseherInnen und JournalistInnen natürlich auch ein entsprechender Name geboten werden. Die Markenlabbel finden sich in einem Kuvert unter den vielen Unterlagen.

Ruth Rogers-Altmann hat eine eigene Firma aufgebaut und Firmen mit Entwürfen und Designs beraten. Eine lange Liste an Namen, Reisen, Länder. Für das Metropolitan Museum war sie Konsulentin und den Stretchstoff für Skibekleidung hat sie in den USA eingeführt.

Jedes Ding hat seine Geschichte und Emigranten brauchen einen langen Atem und müssen alt werden, damit ihnen so etwas wie Gerechtigkeit widerfährt. Mehr als 90 Jahre musste Ruth Rogers-Altmann werden, bevor sie sich über eine Ausstellung ihrer Bilder in Wien freuen kann. Sie besucht das Haus ihrer Eltern in der St. Veitgasse 10 und freut sich, dass sie von den jetzigen Besitzern willkommen geheißen wird. Die metallene Wendeltreppe ist noch vorhanden und die Holzstiege knarrt, als hätte sich nichts verändert. Nach ihrem Wienbesuch möchte sie die Tradition der letzten Jahre beibehalten und ihre Skisaison in Uta eröffnen.

Die Ausstellung von Ruth Rogers-Altmann ist von 4. November bis 22. Dezemberin der Volkshochschule Hietzing zu sehen.


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