Robert Streibel

Eine Büßer-Reise nach Berlin

Februar 2009

Robert Streibel

Das Wetter bei einer Büßer-Reise ist meist nicht besonders, Sonnenschein kann nicht sein. Aber ist der Charakter des Aufenthalts des englischen Politsängers Billy Bragg eine ebensolche? Er hat doch nichts zu büßen, denn die DDR war doch das einzige Land, aus dem er ausgewiesen wurde. Als er bei seinem letzten Berlin-Aufenthalt über die Perestrojka gefragt wurde, meinte er, dass sie nur dann sinnvoll sei, wenn sie vor der Mauer nicht halt mache. Das war dann doch zu viel 1987. Abgeschoben im Flieger war ihm leid, dass er den Spagat nicht geschafft hatte, es tat ihm leid um das Publikum, das er jetzt allein lasse.

Billy muss nicht büßen, doch mein Besuch fällt vielleicht eher unter diese Kategorie. Die Tradition des Katholizismus lässt die persönliche Debatte über diese Zeitgeschichte in der Form der Alliteration entstehen. Berlin Billy Bragg, könnte da nicht auch Büßen passen? Zwanzig Jahre sind eine schöne Zeitspanne, im Gegensatz zu Billy Bragg bin ich in der Zwischenzeit schon einige Male in Berlin gewesen, aber einige Besuchs-Punkte habe ich immer ausgelassen, ein wenig umschifft, die Gedenkstätte für die Toten an der Mauer gehörte dazu. Eine sonderbare Regie, wenn ich es so betrachte. Nicht, dass ich die Mauer verteidigt hatte, aber diese kritische Solidarität, die hat schon einige Bocksprünge mit sich gebracht. Und Brecht und Helene habe ich auch nicht in ihrer Wohnung besucht, zu viel Kult, zu viel Attitüde vielleicht. Wenn eine Phase abgeschlossen ist, dann sollte man nicht daran festhalten. Diese Weisheit könnte fast von einem Inder stammen. Aber so ändern sich die Zeiten, Brecht hatte es mit den Chinesen und wir sind auf den Inder gekommen. Halte nur solange an einer Sache fest wie es lukrativ ist, lautet frei assoziiert die Werbung für einen Telefonanbieter. Brecht war weiter lukrativ, aber… die vielen Illusionen und das Pathos, die sind für mich schon lange nicht mehr auf der Tagesordnung. Am Friedhof habe ich bei ihm vorbeigeschaut, aber da liegen ja auch andere, was würde Heiner Müller heute sagen? Christa Wolf gibt es noch und den ? Hacks auch. Still ist es geworden um sie, um viele.

Aber dieses Mal in Berlin im Februar 09 war es ein gut abgestimmtes Programm. Das Festival Musik und Politik, vormals das Politische Lied in DDR-Zeiten. Das Festival neu – nach dem Ende der DDR feiert es nun auch schon sein 10jähriges Jubiläum – bot den Rahmen für das EU Projekt „Ballad Portal‰. Das Symposium und das Drumherum gab es Diskussionen und Dialoge – nicht nur vor und hinter der Bühne und im Podium, sondern auch im Kopf. Begegnungen mit der eigenen Historie und mit einer lebendig gebliebenen Vergangenheit und damit sind nicht nur die roten und grünen Männchen an den Fußgänger-Ampeln gemeint, die es in jeder Form gibt vom T-Shirt bis zum Sportgummi: Das blieb von der DDR und der Rotkäppchensekt vielleicht auch. Das Politische Lied, was ist das schon? Genügt es ein Roma Lied zu spielen, als indianische Punkband von ≥restistance„ zu singen? Mit einem tiefen Seufzer eine im KZ ermordete als Zwischentext zu bringen? Das alte Pathos lebt, Thomas Fritz von Zupfgeigenhansel, beherrscht es. Das politische Lied. Billy Bragg lebt es, keine Frage, und in der Diskussion mit Menzel dem poetischen fast stillen Intellektuellen erscheint der 52 jährige Engländer wie eine Kraftquelle. Der Kampf geht weiter und er singt von der ≥Union„, als würde dort gekämpft werden. Die Sprache von Marx, die sei es nicht mehr zeitgemäß, ganz locker kommt ihm das über die Lippen. Und dass die Heimat auch von den Linken entdeckt wird, das ist keine Frage, dass die Arbeiter von Labour zur National Party gewechselt seien, da kann man das nicht mit falschem Bewusstsein erklären, damit gewinnt man sie nicht zurück. ≥Act local, think global„ hat der amerikanische Folksänger-Ikone Pete Seeger gemeint, der sich auf seinen 90. Geburtstags vorbereitet. Eine Dokumentation seines Leben wurde als deutsche Erstaufführung in Berlin gezeigt. Das Filmporträt von Jim Brown ≥The Power of Song„, führt einen Unverwüstlichen vor, nicht angekränkelt von deutscher geteilter Geschichte. Ihm gab die Geschichte recht, denn mit Bruce Springsteen konnte er vor der Angelobung von Barak Obama singen. Solche Biographien wärmen die erkaltete Seele nicht weil der Wintersturm in den breiten Berliner Alleen so schrecklich ist. 20 Jahre nach dem Ende der DDR sind die, die daran geglaubt haben abgetaucht auch wenn die Nachfolgeparteien sich etablieren, das täuscht über den „Knacks‰ von vielen nicht hinweg. Die Liedermacher und ihre Krise, die sind dafür ein Indikator. Was waren das für Zeiten, als zu den Konzerten Tausende kamen, jetzt genügt ein Klub mit 150 Sitzplätzen.

Und auf die Frage, wie sie es mit der Politik halten auch mit der Parteipolitik, da meint Menzel, das interessiere ihn gar nicht, während Billy Bragg erklärt, ich habe nicht mehr als zehn Jahre dafür gekämpft, dass die Konservativen abgewählt werden, um jetzt alles aus der 1. Reihe fußfrei zu betrachten, er mache nicht Werbung für Labour und was er bei den nächsten Wahlen tun wird, das weiß er heute noch nicht, aber zu sagen, das interessiert mich nicht, das klingt bei ihm nicht an.

Bevor ich zur Berlin-Reise aufgebrochen bin, da hatte ich schon Bedenken, als ich das Programm sah und das Vorwort von Konstantin Wecker las. Wecker ein Markstein für viele und jetzt, die Zeit geht weiter, ein Wiederhören ist ein Wiedereintauchen in die Vergangenheit das die Weiterentwicklung leugnet. Eine persönliche Frage.
Und so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, geht ja auch nicht. Dass DDR Museum war der erste Programmpunkt vor Beginn des Treffens. Ein kleines Museum, etwas größer als eine Besenkammer am Ufer der Spree, aber auch das Churchill Museum in London ist klein und bietet eine Menge. Der Lampenpalast ist verschwunden, der Abstieg in die Geschichte ist eisig. Ein so kleines Museum für eine so große Frage. Angerissen, zum Anfassen und natürlich unfassbar: Die Jugendweihe, die Fotos, die Geschenke, da traue ich mich auch eine andere Vergangenheit zu sehen. Das war die Realität. Geschichte in kleinen Happen geboten, alle Kinder mussten in der Krippe auf dem Töpfchen sitzen und aufstehen durften alle erst dann, wenn die Letzte oder der Letzte mit seinem Geschäft fertig war. Das Gemeinschaftsgefühl sollte so ausgeprägt werden. Ein Psychoanalytiker wird zitiert, der meint, dass die Zuwendung zum Rechtsextremismus nach der Wende so gesehen kein Wunder sei. Alles ganz einfach. Und dann die Geschichte mit der FKK, eine alte Tradition der Arbeiterbewegung. In manchen Zeiten hatte die Partei Vorbehalte. Genossen wir sollten unsere Augen nicht beleidigen, oder so. Die massenhafte Verbreitung des Nacktbadens auch ein versteckter Affront gegen die Verzopftheit der Partei. Die Überwachung und die Stasi sind präsent, im Trabi darf mann/frau sitzen, die Kaffeegeschichte, der Kaffee mit den Ersatzstoffen und der Protest dagegen wird erzählt und dann die Gartenidylle. In der Ausstellung „Volkseigentum‰ mit Bildern aus den staatlichen Speichern, Bilder die in öffentlichen Gebäuden ausgestellt waren, oder die angekauft worden waren, gibt es ein Bild mit einer Kleingartenanlage, verhüttelte Idylle, fast wie Gefängniszellen parzelliert und rund herum ein dunkler Tann, bedrohlich hoch die Bäume. Keine Mauer, aber das erledigen die Bäume, die zum Fürchten sind.

Wie Umgehen mit dieser Vergangenheit, was habe ich damals nicht gesehen oder so nicht sehen wollen? Bevor ich weiterdenke fällt mir die kritische Solidarität wieder ein. Ist das eine Ausrede, gibt es das? Und heute gibt es wieder ein Land, diesmal am Mittelmeer, mit dem solidarische Kritik geübt wird. Die Gemeinschaft in der DDR, die auch erzwungen wurde, unvorstellbar dies heute realisiert zu wissen. StudentInnen, die im Sommer arbeiten müssen, vom Staat verordnet. Kein Studium für Akademikerkinder, Marx als Pflichtfach, Bespitzelung und Mauertote. Alles nur 20 Jahre her.

Der zweite Programmpunkt ist dann die Ausstellung „Volkseigentum‰ Gemälde der offiziellen DDR, ausgestellt in Parteidienststellen und öffentlichen Gebäuden, ejtzt im Speicher. Überraschend für manche, wie im Besucherbuch nachzulesen, da ist nicht auf jedem Bild Honecker zu sehen. Gegenständliche, figurale Malerei. Wenn die Jugendweihe gemalt wird und im Hintergrund die Familie feiert, so sieht es aus, als wären die Otto Dix Gestalten in der DDR wiederauferstanden und der geweihte Jugendliche im Vordergrund gleicht einem begossenen Pudel. Überraschend. Ein Besucher meint: Da ist ja gar nicht alles Propaganda, die haben doch auch tatsächlich malen können. Die Halle mit den ausgestellten Bildern ist lieblos, als hätte man versucht, den Charme eines Kulturpalastes einzufangen, der Teppichboden schäbig, die Musik beliebig und doch bei nicht wenigen Bildern höre ich die Kunstdebatten von damals, sicherlich nicht beim Geburtstagsbild für Wilhelm Pieck oder bei den Bildern, wo das ≥Neue Deutschland„ auf dem Tisch liegt, aber das ist nur ein Teil der Realität.

Und dann das Mauer-Museum in der Bernauer Straße. Die Mauer habe ich von Westberlin aus nie gesehen, nur immer vom Osten. Jetzt wo sie verschwunden ist, wird sie rekonstruiert, zwei Metallplatten reichen in den von der Geschichte geteilten Friedhof und dazwischen ist die Mauer erhalten geblieben. In diesem Jahr soll noch ein Gedenkzentrum entstehen. Im provisorischen Zentrum ist der Film der ≥Flug über die Mauer„ zu sehen. Kurz nach der Öffnung der Grenze war ein Hubschrauber die gesamte Mauer abgeflogen, die Sicherheitsanlagen sind sichtbar, ein unvorstellbares Bauwerk, unglaublich, wie ausgeklügelt das System, Wachttürme, Hunde, Straßen. Der antifaschistische Schutzwall. Bei den Filmen tritt mir die Wut aus den Augen. Die Errichtung der Mauer 1961, die Erinnerungen von Zeitzeuginnen in den Hörboxen, die Bilder wie Menschen aus den Fenstern in den Westen springen. Auf dem Turm des Museumsgebäude ist der Blick auf das Stück der erhaltenen Maueranlage frei. Und wie verarbeiten die Liedermacher diese Geschichte? Dieser Teil der Geschichte kommt nicht vor, noch immer nicht, rückblickend auf die gehörten Gruppen ist fast so etwas wie eine biedermeierliche Wehleidigkeit zu spüren, dies ist vielleicht hart, zu hart. Natürlich sind Minderheiten musikalisch und damit auf der richtigen Seite. Wo ist die? Zumindest im Saal in der WABE gibt es noch eine klare Zuordnung und wenn es auch nur eine Sache des Bauchgefühls ist. Roma, Klezmer, Indianer. In der Dresdner Straße steht das Kulturzentrum WABE, wo das Festival stattfindet. Früher, also vor 20 Jahren, erinnerten die Straßenschilder an einen gewissen Dimitrov. Dieter Dehm, der Bundestagsabgeordnete der LINKEN erwähnt dies in seiner Rede, ein Skandal sei das. Und er singt Brecht, als könnte alles nochmals beginnen, fast 60 ist er. Mit Lederjacke inszeniert er sich als Kader-Macho, er redet und liest, Stamokap habe ich schon lange nicht mehr gehört, politische Archäologie. Einen Schauer spüre ich über den Rücken, so fühlt sich die Vergangenheit an. Und Brecht? Das Gedicht ≥An die Nachgeborenen„. Diese Dialektik von Liebe und Kampf, von Pathos und Alltäglichkeit, eine schöne Sprache, aber ich kann sie nicht mehr hören, als letzter Anker werden diese Zeilen dann zitiert, als andere Form, um Absolution vor der Geschichte und der Weltrevolution zu erhalten. Sollte es nicht eine Verordnung geben, dass diese Zeilen nicht bei jeder Gelegenheit zitiert werden dürfen?

Das Brecht Museum habe ich noch nie besucht, den Friedhof schon, aber seine Wohnung, davor habe ich bisher zurückgeschreckt. Der Kult um Brecht ist auch schon abgeklungen, jetzt ist es Zeit für mich. Vor 25 Jahren habe ich über den Brecht Boykott gearbeitet und bin dann doch nur zweiter gewesen. Kurt Palm hatte seine Dissertation fertig, als ich meine Hausarbeit vollendet hatte. Das habe ich Brecht nie verziehen.

Nur 8 Personen dürfen pro Führung im Brecht-Haus teilnehmen, das Leder der Sessel ist abgewetzt, die Bücher stehen wie sie zuletzt benutzt wurden und sieben Tische, spartanisch, japanisch gemischt mit Bauhaus. Engels, Marx und Konfuzius. Der Kasten ist verschlossen, seine Anzüge und Kleider dürfen nicht gezeigt werden, Brecht hat verstanden sich zu inszenieren auch mit Kleidung und seinem Outfit. Thomas Bernhards Schuhe und Hemden sind sichtbar, Brecht hat das testamentarisch verboten. Eine Büste hat er sich schon zu Lebzeiten machen lassen, aufgestellt wurde sie erst nach dem Tod. Und das Zusammenleben mit Helene Weigel? Brechts Frauengeschichten. Helene zog in die Zimmer im 2. Stock und wenn er dann mit ihr sprechen wollte, dann hat er einen Zettel durch die Tür geschoben. Aber keine der Frauen hat ihn verlassen, meint die Mitarbeiterin im Museum, er war witzig und charmant, hat es verstanden, das Wissen seiner BesucherInnen für sich zu nutzen und er hat natürlich nie mit der Situation leben müssen, dass eine Frau ihn verlassen hat. Nach dem Tod hat Helene Weigel die Räume nicht mehr betreten und alles für eine Gedenkstätte vorbereitet und ist ins Erdgeschoss gezogen, hat sich einen Wintergarten angelegt und des morgens auch vom Bett aus regiert, den Fernseher im Blick, Manuskripte liegen noch auf dem Tisch. Die letzte Aufführung der „Mutter‰, wenige Wochen vor ihrem Tod in Frankreich. Zum Schluss der Vorstellung regnete es rote Rosen für sie.

Danach im Speisekombinat, günstig, gediegen mit großen Portionen und der Rote Stern als Logo, Revolutionsnostalgie als Marketingidee. Die Geschichte nicht nostalgisch zu betrachten ist meine Aufforderung, die Geschichte der Sommerkurse in Rostock, der internationalen Hochschulkurse, die sollte geschrieben werden. Was ist wohl aus denen geworden, die ich damals getroffen habe. Dunkel erinnere ich mich an einen Philosophen oder Germanisten, der mit der Partei in Konflikt kam, so genau ist mir das nicht mehr präsent, so viel durften wir gar nicht wissen als Besucher. Im 8. Stock in der Studentenkneipe Keith Jarret gehört und all die Partisanen-Lieder gesungen. ≥Bella ciao„, da bekomme ich in der Zwischenzeit Bauchweh. Zu viel Gutgläubigkeit. Und die Geschichte als bei den Länderpräsentationen dieses Kurses die amerikanischen StudentInnen mit entblößter Brust als Surfer einen Sketch spielten und ich glaube auf die Haut auch die DDR Flagge gemalt hatten. Was war das für eine Aufregung. Die Stasi-Berichte über diese Hochschulkurse würde ich gerne lesen. Die Zeit wird noch kommen. In meinen Schachteln liegen noch die Programme dieses Kurses, dieser Sommer in Rostock. Nur ein Bild ist verschwunden. Nackt auf dem Strand in Warnemünde mit einer Kappe der Volksarmee salutiere ich und alle haben sich gefürchtet über meine Idee, dies öffentlich zu tun und dann auch noch um ein Foto zu bitten. Nur ein Spaß im Sommer 1983. Dass all die Reaktionäre Recht behalten haben mit ihrer Kritik an der DDR, das ist kein Spaß, das schmerzt. „We shall overcome‰ singt Pete Seeger. Wenn es so einfach wäre.


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