Robert Streibel

Frauen müssen ewig leben

Männliche literarische Erbpacht bei der Aktion ≥Eine Stadt liest„. Mit John Irving hat es wieder ein Mann geschafft, verlegt zu werden.

Robert Streibel für „Die Presse“, erschienen am 28.2.2006

Reaktionen auf den Leserbrief in der PRESSE

Auch Verwandtschaftsverhältnisse unterliegen Moden. Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit (c Kohl) und die Gerechtigkeit ist eine Frage des Alters (c Republik Österreich). Anstand ist nur ein spätes Versuchen und manche lernen es offenbar nie. Wer in Österreich Recht bekommen will, der muss über eine robuste Konstitution verfügen, einen langen Atem und ein ebensolches Leben. Was zwei Generationen verabsäumt haben, kann kein Nationalfonds selbst bei großer Anstrengung mehr wettmachen. Wenn auch Entschädigungszahlungen fließen, Geld kann nicht alles, zumindest nach so vielen Jahren. Sich in die nicht geleistete Anerkennung zurückzukaufen ist unmöglich. Und eine fehlende Wertschätzung ist keine Sache für Gerichte und Schiedsgerichtssstellen.

Doch für manche Gruppen reicht selbst ein biblisches Alter nicht aus, zum Beispiel wenn es um gesellschaftliche Achtung und Rezeption der Leistungen Exilierter geht. Wer vertrieben und noch dazu Frau ist, der muss wohl ewig leben, um die Chance zu bekommen, in der Aktion ≥Eine Stadt liest„ verlegt zu werden. Als vierter Autor kommt nun der Bestsellerautor John Irving zu Ehren, dessen Roman ≥Der Bär ist los„ in einer beachtlichen Auflage an Interessierte Wienerinnen und Wiener verschenkt wird. Seine Vorgänger waren Frederic Morton, Johannes Mario Simmel, Imre Kertesz, Wir haben in Österreich zwar eine Literaturnobelpreisträgerin, aber mit dieser wienerisch volksbildnerischen Grosstat soll offenbar nur der Ruhm von Männer vergrößert werden. Wir haben Frauenquoten und Gender-Beauftragte, doch die Realität sieht anders aus. Und das blöde ist nur, dass für diese chauvinistische Gedankenlosigkeit keine konservative Regierung die Schuld gegeben werden kann, denn der Ort des Geschehens ist Wien. Wien ist nicht anders. Wien ist Mode. Und die Zeitströmung passt. Ein neuer Roman von John Irving liegt gerade in den Buchhandlungen auf und Publizität in Kultur- wie in Societyspalten ist garantiert, da darf Wien ein wenig mitnaschen und sich im internationalen Licht sonnen. Ein bisserl Zeitgeschichte gepaart mit Tierischem und dem Schönbrunner Zoo: Ideal. Warum sollte da auch nach Schriftstellerinnen Ausschau gehalten werden? Es hätte sie gegeben und es gibt sie und manche werden verdammt alt, den Männern zum Trotz. Ob sie so alt werden, bis die Männer in den verantwortlichen Positionen in Wien geschnallt haben, dass es nicht nur eine Frage der Optik ist, immer nur Männer zu verlegen, da habe ich allerdings Zweifel, lasse mich aber gerne eines Besseren belehren.

* Robert Streibel, Historiker, Buchautor und Direktor der Volkshochschule Hietzing.


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