Robert Streibel

Gott in der Reichskanzlei und im KZ

Religion und Nationalsozialismus: Ein Aufriss

Beitrag für den Katalog „Kristallnacht – Zeitzeugen berichten“ 2004 „Und wo war Gott…?“ im Volkstheater.

von Robert Streibel

Gottfried Lessing lässt seinen Nathan, nachdem ihm die Christen seine Frau und seine sieben Söhne ermordeten hatten, ≥drei Tag‘ und Nächt‘ in Asch‘ und Staub vor Gott„ liegen. Er habe geweint, versichert er dem Klosterbruder ≥wohl gerechtet„, gezürnt und getobt ≥mich und die Welt verwünscht„ doch nach dem Hass und dem Verzweifeln meldet sich die Vernunft,

≥Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder. Sie sprach mit sanfter Stimm‘: »und doch ist Gott! Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan! Komm! übe, was du längst begriffen hast, Was sicherlich zu üben schwerer nicht, Als zu begreifen ist, wenn du nur willst. Steh auf!« – Ich stand! und rief zu Gott: ich will! Willst du nur, daß ich will! ˆ≥

Religion ist Schwert, Religion ist Anker und Maßstab zu jeder Zeit. Für Juden wie auch für Christen war der Nationalsozialismus als Verfolgungsstaat, der auch die Tötung mit industriellen Maßstäben an Millionen Juden umsetzte der Kreuzweg, die Nagelprobe. Wo war Gott? Wie konnte Gott das zulassen?

Die einen sehen darin ein großes Trotzdem die Pfarrerin Annette Bassler aus Mainz: ≥An was kann man noch glauben, wenn Menschen einander so etwas antun können? An die Kraft der Zivilisation? An die Kraft der Vernunft? Die hat den Menschen damals gerade nicht geholfen. Was wird, wenn die Arbeitslosigkeit in unserem Land nicht weniger wird? Wenn die Jungen es schwer haben, Arbeit zu bekommen? Wie zivilisiert und vernünftig werden wir miteinander umgehen können? Worauf können wir uns verlassen, woran glauben? Ich möchte auch nach Auschwitz an Gott glauben, der höher ist als all unsere Vernunft, dessen Gerechtigkeit und Menschenliebe größer ist als unsere Fähigkeit zur Demokratie.„

Bei vielen Juden, seien es assimilierte deutsche Juden oder seien es orthodoxe Juden aus dem polnischen oder russischen Stetl, wurde angesichts der Deportation eine Frage noch viel drängender: ≥Wo ist Gott? Wie kann Gott dies zulassen? Hat Gott uns verlassen?„ Die Ghettoinsassen vegetierten unter unvorstellbaren Bedingungen in den überfüllten Ghettos, vertrauten aber Großteils immer noch auf ihren Glauben und darauf, ≥dass diese Prüfung bald vorüber sein würde„. Als die Ghettos geräumt wurden und tagtäglich taufende Menschen direkt in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden, wurde vielen klar, dass diese ≥Prüfung„ ein Ausmaß annahm, das für nahezu alle unvorstellbar war. Die Menschen, die zu Tausenden unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden, aber auch die, die in den KZ zur Zwangsarbeit getrieben wurden, waren sich sicher: Gott hatte sie verlassen.

Eli Wiesel ist im KZ ebenfalls ins Zweifeln gekommen, ob es Gott noch gibt, In einer Geschichte berichtet er von einem Jungen, der von den Aufsehern zum Tode am Galgen bestimmt war und gehängt wurde. Minutenlang kämpfte das Kind seinen Todeskampf am Galgen, während die Mithäftlinge hilflos zusehen mussten. Da sagte einer der Gefangenen verzweifelt: „Wo ist Gott?“ Und Eli Wiesel spürte, wie sich in seinem Inneren die Antwort formte: „Da hängt er.“

Für Cornelia Faulde ist diese Grenzerfahrung zugleich auch der Beweis für die Existenz Gottes. ≥Die Leiden eines Kindes anzusehen, sei es als Augenzeuge oder sei es in der Wiederbelebung eines frühkindlichen Traumas in der Therapie, erscheint mir unerträglich ohne diese feste Gewissheit von der unzerstörbaren Würde des Menschen, die in Gott begründet ist. Das Nein, das sich in unserem Inneren einem solchen Leiden entgegenstellt, ist zugleich ein Ja zu einer anderen menschlicheren und zugleich göttlichen Ordnung der Liebe.„

Am 11. November 1938 wurde der damals 22-jähriger Rabbinerstudent Emil L. Fackenheim in einer Gefängniszelle in Halle an der Saar gefragt: ≥Was das Judentum jetzt dazu zu sagen hätte.„ Er habe überlegt auf eine traditionelle Antwort zurückzugreifen und zu sagen: „Gott straft uns ein weiteres Mal für unsere Sünden‰, berichtet der jüdische Philosoph, es aber dann unterlassen. Umso ausführlicher fällt seine Antwort heute aus. Emil L. Fackenheim gab es „selbst in Auschwitz noch den messianischen Funken‰. Weil es selbst in der Hölle noch Menschen gab, die zwischen gut und böse unterschieden haben. Weil es Juden gab, die an Gott glaubten, als sie in den Tod gingen. Fackenheim konstruiert keinen allmächtigen Gott, er beobachtet die Welt, die Geschichte und findet Spuren von ihm. Fackenheim hat den 613 traditionellen Geboten des Judentums ein 614. Gebot hinzugefügt: Es ist den Juden verboten, Hitler nachträglich siegen zu lassen. Vier Punkte umfasst dieses Gebot und nennt damit die Grundpfeiler des jüdischen Lebens nach Auschwitz: Es sei geboten, als Juden zu überleben, der Opfer zu gedenken, nicht Zuflucht in Zynismus und Jenseitigkeit zu suchen und schließlich sei es verboten, am Gott Israels zu verzweifeln, damit das Judentum nicht untergehe. Bei vielen Juden, seien es assimilierte deutsche Juden oder seien es orthodoxe Juden aus dem polnischen oder russischen Stetl, wurde bald eine Frage noch viel drängender: ≥Wo ist Gott? Wie kann Gott dies zulassen? Hat Gott uns verlassen?„ Die Ghettoinsassen vegetierten unter unvorstellbaren Bedingungen in den überfüllten Ghettos, vertrauten aber großteils immer noch auf ihren Glauben und darauf, ≥dass diese Prüfung bald vorüber sein würde„. Als die Ghettos geräumt wurden und tagtäglich tausende Menschen direkt in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden, wurde vielen klar, dass diese ≥Prüfung„ ein Ausmaß annahm, das für nahezu alle unvorstellbar war. Die Menschen, die zu taufenden unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden, aber auch die, die in den KZ zur Zwangsarbeit getrieben wurden, waren sich sicher: Gott hatte sie verlassen.

Gott in der Reichskanzlei und im KZ Religion und Nationalsozialismus: Ein Aufriss

Während Adolf Hitler nicht wenige seiner Reden mit Amen beendete, sich als Johannes der Täufer sah und mit der Vorsehung auf Du und Du war, waren Priester und Nonnen und Bibelforscher aufgrund ihres Glaubens in den Konzentrationslagern und Gefängnissen inhaftiert.

Adolf Hitler war so nachhaltig religiös sozialisiert worden , dass Bibelverse zum fixen Bestandteil seiner Reden gehörten. Er sah sich als ≥Heiland der Deutschen„ und wurde als solcher verehrt, schreckte nicht davor zurück sich mit Jesus zu vergleichen, wie dieser hatte er 30 Jahre alt werden müssen, bis er öffentlich auftrat und wie diesem wurde ihm anfangs „vollständige Nichtbeachtung“ zuteil als Prophet, der „im eignen Lande nichts galt“ und nicht zuletzt beschwor er apokalyptische Kämpfe. ≥Der Allmächtige hat uns diesen wunderbaren Weg gehen lassen und wird uns weiter segnen. Denn wir kämpfen hier für ein höheres Recht, für eine höhere Wahrheit und für einen höheren menschlichen Anstand.“ (10.9.37). Die Debatte um den religiösen Gehalt des Nationalsozialismus hat eine lange Tradition. Einer der ersten, der das Nahverhältnis zur Sprache brachte war Hermann Rauschnings, der ehemaliger Staatspräsident von Danzig und Anhänger des Diktators, der in seinem in New York 1941 erschienenen Buch ≥Gespräche mit Hitler„ von der „Katholizität des neuen Glaubens an den Gott verkörpernden Führer“ sprach. Drei Jahre zuvor hatte Eric Voegelin, den Begriff der „politischen Religionen“ geprägt. Friedrich Heer sah in seinem Buch ≥Der Glaube des Adolf Hitler ˆ Anatomie einer politischen Religiosität„ den Nationalsozialismus als eine Imitation der Katholischen Kirche. Klaus Vondung stellt eine Vielzahl von quasi religiösen Ritualen dar, welche die imaginative Realität des Nationalsozialismus konstruiert haben und dies reich bis zur Konstituierung eines eigenen nationalsozialistischen Kalenderjahres.

Für Michael Rissman ist klar, dass Hitler die Religion immer nur im Hinblick auf die öffentliche Wirkung eingesetzt hat, seine Ablehnung der Kirche ist unzweideutig und nach dem Endsieg wollte er sie vernichten mit öffentlichen Angriffen hielt er sich in schwierigen Phasen jedoch zurück um nicht den Widerstand der Kirchen und der Gläubigen zu provozieren.

Während Militärseelsorger dem Krieg ihren Segen gaben, der Freiburger Erzbischof Conrad Gröber sprach von einem „überaus herrlichen und ganz großen Kampf“ (1942) gilt der österreichische Pallottinerpater Franz Reinisch als einziger bekannte Priester, der bei der Einberufung zur deutschen Wehrmacht den Fahnen- und Treueeid auf Adolf Hitler verweigert hat. ≥“Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten. Es muss Menschen geben, die gegen den Missbrauch der Autorität protestieren; und ich fühle mich berufen zu diesem Protest“.

Während Gertrud Luckner in der ≥Kirchlichen Kriegshilfestelle„ in Freiburg die Auswanderungsberatung ≥nichtarischer Katholiken„ betreute und vielen Juden zur Flucht verhalf, dass KZ Ravensbrück überlebte und von Selbstzweifeln geplagt war: ≥Was konnte man tun? Ein paar Leute retten … Aber wir haben ja alle viel zu wenig getan, die Schuld ist ungeheuer.„ findet sich im Protokoll der jährlichen Konferenz der österreichischen Bischöfe 1942 über die Deportationszüge in die Vernichtungslager nach Osten der lapidare Satz: „33 Transporte à 1000 nach Polen abgegangen‰ Ob es tatsächlich auf Anordnung von Kardinal Adolf Bertram, dem ranghöchsten Bischof währen der NS-Zeit ein Requiem auf den toten Hitler hätte geben sollen, das nur durch die Kapitulation verhindert wurde, ist vielleicht eine böswillige Unterstellung. Die Geburtstagswünsche von Bischof Bertram die mit den Worten begannen „Hochgebietender Herr Reichskanzler und Führer … in ehrerbietigstem Gehorsam. Im Namen aller deutschen Katholiken und für die gesamte Fuldaer Bischofskonferenz über mittelte er die Glückwünsche zum Geburtstag zu und versicherte, dass die „Katholiken Deutschlands am 20. April an den Altären für Volk, Heer und Vaterland, für Staat und Führer“ Gebete zum Himmel sendeten, und mehr noch, dass dies eine „ebenso vaterländische wie religiöse Pflicht der Treue zum jetzigen Staate und seiner regierenden Obrigkeit“ sei, und zwar „im Vollsinn des göttlichen Gebotes, das der Heiland selbst und in seinem Namen der Völkerapostel verkündet hat“.

Während der Priester und Josef Tiso mit Hitler kollaborierte und Präsident im deutschen Schutzstaat Slowakei wurde und die Deportation von Juden am 15.8.1942 mit den Worten würdigte: ≥Die Slowaken haben sich ihrer Schädlinge entledigt„ predigte Bischof Clemens August Graf von Galen aus Münster gegen die Euthanasie an Geisteskranken.

Während im kroatischen Lager Jasenovac in Westslawonien die Mörder die Kutten der Franziskanermönche, die mit der Ustascha sympathisierten trugen, und der Priester Mate Mugos in einem Aufruf an seine Kollegen schrieb: „Bis jetzt haben wir dem katholischen Glauben nur mit Gebetbuch und Kreuz gedient. Die Zeit ist gekommen, dies mit Gewehr und Pistole zu tun.“ verweigerte der Bauer und Mesner Franz Jägerstätter aus religiösen Gründen den Wehrdienst und wurde hingerichtet, im Nachkriegsösterreich wurde er aber nicht als Opfer des politischen Widerstandes im Sinne des Opferfürsorgegesetzes (OFG) anerkannt, da Desertion sei in allen Armeen der Welt strafbar sei.

Während Papst Pius XII diplomatisch zu den Deportationen von Juden schweigt, weil eine Kritik die Nationalsozialisten noch mehr anstacheln würde, verteidigt die dänisch lutheranische Kirche die Juden offen.

Während NS-Verbrecher mit Hilfe des Vatikans nach 1945 die Flucht ins Ausland gelang, die Fluchtroute trug daher den Namen ≥Klosterroute„, ≥Römischer Weg„ oder ≥ratline„ dauert es bis zum Jahr 2000 bis die Katholische Kirche ihr Verhältnis zum Judentum einer offiziellen Klärung unterzog und die Vergebungsbitte des Papstes ≥Unser Schmerz sei ehrlich und tief. Und wenn wir in Demut die Schuld der Vergangenheit betrachten und unser Gedächtnis ehrlich reinigen, dann führe uns auf den Weg echter Umkehr.„

Textbeispiele

Nächstenliebe und Verdammnis Sie haben ein kritisches Buch über die Verstrickung der katholischen Kirche in den Holocaust geschrieben. Aber haben nicht viele Geistliche Juden gerettet? Daniel Goldhagen: Ja. Aber untersucht man das Verhalten der katholischen Kirche in dieser Zeit, gibt es da ein Paradox: Da findet man zum einen Barmherzigkeit, die sich von christlichen Prinzipien wie Güte und Nächstenliebe leiten lässt und keinen Unterschied zwischen den Menschen macht. Diese Barmherzigkeit hat viele einzelne Priester und Nonnen dazu bewogen, Juden zu helfen, und sie sind zu Recht dafür gerühmt worden. Zum anderen aber stößt man innerhalb der Kirche und des Klerus auf eine heftige Abneigung gegen Juden: Sie gelten als verfluchtes Volk und als Bedrohung des Christentums, als Christusmörder und notorische Übeltäter. Diese jahrhundertealte christliche Überzeugung wurde noch ergänzt durch die moderne dämonologische Vorstellung, die Juden seien die treibende Kraft hinter dem Bolschewismus, der das Christentum und die westliche Zivilisation zu zerstören suche. Innerhalb der Kirche war das damals die vorherrschende Ansicht, und diese Abneigung hat die Kirche als Institution und viele Geistliche quer durch ganz Europa dazu verleitet, sogar Verbrechen an Juden zu billigen oder selbst zu begehen. Behaupten Sie eine Komplizenschaft zwischen Kirche und Nationalsozialismus?

Daniel Goldhagen: Der Nationalsozialismus war ein Feind des Christentums, und auch wenn die Kirchen den Ernst und das Ausmaß dieser Feindschaft oft nicht erkannten, gab es doch wesentliche Reibungspunkte. Aber im Hinblick auf die Judenverfolgung galt das nicht. Die Kirche als solche, die nationalen Kirchen quer durch Europa und viele Geistliche haben in vielerlei Hinsicht zur Notlage der Juden beigetragen. Während viele Kleriker zwar die Verfolgung billigten, nicht aber den Massenmord, unterstützten die Kirchen und Geistliche in einigen Ländern sogar die Deportationen oder beteiligten sich daran. Dass diese Deportationen in den Tod führten, war vielen bekannt. Und obwohl Papst Pius XII. wusste, welche furchtbaren Handlungen seine Geistlichkeit beging, hat er sie nicht in die Schranken gewiesen. Dokumentation des Louise Schröder Gymnasiums München (http://www.lsg.musin.de/Geschichte/lkg/goldhagen.htm) Daniel Jonah Goldhagen: Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne; aus dem Englischen von Friedrich Griese (Siedler Verlag, Berlin 2002) Pontifikalgottesdienst von Papst Johannes Paul II. am 12.03.2000 in St. Peter in Rom

ALLGEMEINES GEBET SCHULDBEKENNTNIS UND VERGEBUNGSBITTE

Ein Vertreter der Römischen Kurie (Kardinal Edward Idris Cassidy, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen) Lass die Christen der Leiden gedenken, die dem Volk Israel in der Geschichte auferlegt wurden. Lass sie ihre Sünden anerkennen die nicht wenige von ihnen gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen (muss wohl heißen: der Verheißungen oder Segnungen) begangen haben, und so ihr Herz reinigen. Stilles Gebet Der Heilige Vater: Gott unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen: Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes. Darum bitten wir durch Christus unseren Herrn. R/. Amen R. Kyrie, eleison; Kyrie, eleison; Kyrie, eleison. Vor dem Kruzifix wird ein Licht entzündet.

Gott in Theresienstadt Eine bitterböse Novelle aus dem Jahr 1943 von Otto Weiss Gott macht sich auf den Weg nach Theresienstadt, um nachzuforschen, warum ein Freßpaket, das ER seinem treuen Diener Siegfried Taussig ins Lager geschickt hatte, bei diesem nie angekommen war. Das verschwundene Paket wurde in der Poststelle gestohlen, erfährt Gott, alias Aaron Gottesmann. Der Dieb war kein SS-Mann war, sondern ein Mithäftling. Unter den Juden im Lager herrscht nämlich eine brutale Klassengesellschaft: Die gewöhnlichen Insassen hausen in Massenbaracken, haben kaum zu fressen und frieren in ihren Lumpen, während die korrupte jüdische Lagerelite und ihre Büttel, die Funktionshäftlinge, gut behaust, gut genährt und gut gekleidet sich an Kulturveranstaltungen erfreuen und dafür sorgen. Gott ist entsetzt. Warum hat IHN niemand informiert? Aber ER kann nichts machen. In Theresienstadt ist seine Allmacht offensichtlich außer Kraft gesetzt. Nicht einmal kleine Wunder mehr kann ER bewirken: Als in seiner Baracke der Strom gesperrt wird und alle in der Finsternis herumsitzen, spricht der HERR: Es werde Licht. Aber es bleibt dunkel.

Predigt im Konzentrationslager Gott ist Wahrheit ˆ wo Lüge ist, da ist Gott fern. Gott ist Gerechtigkeit ˆ wo Unrecht und Gewalttat herrscht, da ist Gott nicht, auch wenn ihm Gottesdienste ohne Zahl veranstaltet werden. Gott ist Gnade und Barmherzigkeit. Wo Unbarmherzigkeit und Brutalität ist ˆ da ist Gott nicht, auch wenn man stets von ihm reden würde. Ausschnitt aus der Predigt von Ludwig Simon am 21. März 1933 im Konzentrationslager Heuberg.

Mit Gott rechten? „Was werden wir nun sagen? Ist etwa bei Gott Ungerechtigkeit? Das sei ferne! Spricht er doch zu Mose: ≥Ich werde mich erbarmen, wessen ich mich erbarmen will, und ich werde Mitleid haben, mit wem ich Mitleid haben will.„ So kommt es also nicht auf den Wollenden und Laufenden an, sondern auf den sich erbarmenden Gott. Es sagt ja die Schrift zu Pharao ≥Gerade dazu habe ich dich erweckt, dass ich meine Macht an dir erweise und dass mein Name auf der ganzen Erde kund werde.„ Also erbarmt er sich, wessen er will, und verstockt, wen er will. Du wirst mir nun einwenden: Wie kann er dann noch tadeln? Denn wer kann seinem Ratschluss widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst?“ Paulus in Römer 9,20

Tyrannen richtet Gott selbst?

In seiner Todeszelle haderte Carl Friedrich Goerdelers, das zivile Haupt der deutschen Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus mit seinem Gott, berichtet seine Tochter Dr. Marianne Meyer-Krahmer. Wie konnte er, der angeblich Gütige, es zulassen, dass Hitler, den sowohl Goerdeler als auch Bonhoeffer für das fleischgewordene Böse hielt, so mächtig wurde?

Ein Ringen mit Gott und darum, wie nach seinem Willen zu handeln sei, beschäftigte diese Männer des Widerstandes. Dazu gehörte vor allem die Frage, was denn mit Hitler geschehen müsse. Darf man einen Tyrannen umbringen? Goerdeler, Generaloberst Franz Halder und der Legationsrat Hans-Bernd von Haeften sagten „Nein“. Sie hätten es bevorzugt, wenn Hitler verhaftet und vor ein deutsches Gericht gestellt worden wäre. Hingegen gehörten Dietrich Bonhoeffer und der Jesuitenpater Alfred Delp, der ebenfalls hingerichtet wurde, zu jenen, die das Attentat befürworteten.

Die Akteure des Attentates rangen bis zum Schluss mit ihrem Gewissen. Sie befragten Gott – ebenfalls bis zum Schluss: In seiner Todeszelle legte Goerdeler den Fehlschlag des Attentatsversuches als ein Zeichen dafür aus, dass Gott es sich vorbehalten habe, Hitler selbst zu richten. Und sein Zellennachbar, der Historiker Gerhard Ritter, sinnierte über „die rätselhafte Fügung des Schicksals, die Tyrannen bis zuletzt immer vor einem raschen Ende bewahrt hat.“


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