Robert Streibel

Heißt diskutieren auch miteinander tanzen?

Der Essayband von Pierre Vidal-Naquet bietet Beispiele des Umgangs mit dem Revisionismus

Robert Streibel für die Zeitschrift „Zeitgeschichte“

Pierre Vidal-Naquet: Die Schlächter der Erinnerung. Essays über den Revisionismus. Übersetzung aus dem Französischen: Alice Pechriggl, WUV Verlag Wien 2002. (Originalausgabe 1987) brosch., 222 Seiten.

Ignorieren oder antworten, das ist die prinzipielle Frage, die sich für den Umgang mit dem Revisionismus stellt. Die eine Reaktion birgt die Gefahr in sich, den Leugnern des Holocaust keine Paroli zu bieten und ihnen so Raum zu überlassen, die andere impliziert, den abstrusen Ideen zumindest jene Ernsthaftigkeit einzuräumen, die notwendig ist, um sie widerlegen zu können. Wer sich aber auf das Spiel der Widerlegung einlässt, ist gefangen und gezwungen, mit den Revisionisten zu tanzen. Pierre Vidal-Naquet ist ein Historiker der Antike und für seine quellenkritischen und strukturanalytischen Zugangsweisen bekannt. Darüber hinaus hat er zum Algerienkrieg ebenso gearbeitet und publiziert wie auch zum Pariser Mai 1968. Vidal-Naquet setzt bei seiner Auseinandersetzung mit den Revisionisten bei ihrer Sektenstruktur an und bezieht das ≥psychisch-imaginatives„ Funktionieren im Umgang mit dem ≥Unvorstellbaren„ in seine Analyse ein. Daneben finden sich Denkanstöße, die gerade in einem Gedenkjahr wie diesem notwendig sind: so beispielsweise, wenn er von ≥staatlich organisierten Musealisierung und bürokratischer Vernichtungsdokumentation„ spricht, die auch eine Art darstellen, das Erinnern aufzuschieben. Doch bevor es soweit kommt, ist die Geduld der Leserinnen und Leser auf eine beispielhafte Probe gestellt, denn für seinen Einstieg macht Vidal-Naquet einen Besuch bei den Kannibalen. Um das Phänomen des ≥Kannibalismus„ zu erklären weist er auf zwei wissenschaftlichen Ansätze hin. Der materialistische Erklärungsversuch definiert die Ursprünge der Menschenfresserei mit ökonomischen Termini. Der zweite Erklärungsversuch sieht alles als eine bloße Erfindung der Sozial- und Kulturanthropologen an und erklärt das reale Ereignis zum imaginär-fiktiven. Nicht viel anders ist es im Fall der industriellen Massenvernichtung des Nationalsozialismus, wo man ebenso auf den reduktionistischen Wahn und den verneinenden Ansatz treffen kann. Essays vermögen gemeinhin mannigfaltige Bezüge herzustellen, sind voll von angedeuteten und ausgeführten Seitenhieben, springen durch die Geschichte, mit einem Wort: sie fordern die Leserinnen und Leser und manchmal überfordern sie diese auch, wie im Fall des vorliegenden Bandes. So spannend der ≥kannibalistische„ Beginn ist, so ungewöhnlich der historische Vergleich mit der Vernichtung der Heloten durch die Spartaner sich auch liest, zu viele Fäden aufzugreifen birgt die Gefahr, den roten Faden zu verlieren, trotz der Wegweiser der Zwischenüberschriften. Verloren zwischen Thukydides, allgemeinen Fragen darüber, wie Historiker zu schreiben hätten, dem Algerienkrieg und der Geschichte des Revisionismus sowie textkritischen Analysen wie zum Beispiel zum Tagebuch des SS-Arztes Paul Kremer (auf den sich viele Revisionisten beziehen) und der ˆ nicht wie behauptet ˆ ≥Sonderaktionen„ nur in Bezug auf Typhus ≥bezogen„ hatte. Vielleicht liegt das disparate und manchmal nicht ganz leicht verständliche der Lektüre an den verschiedenen Fassungen und der präsentierten Entwicklungsgeschichte der Texte, vielleicht ein wenig auch an deren Übersetzung, sicher aber auch an der hierzulande nicht vertrauten historiographischen Tradition in der Vidal-Naquet steht. Die Einmaligkeit der Massenvernichtung im Blick, das Auge und die Feder dabei jedoch über einen belesenen Horizont schweifen zu lassen, so tritt Pierre Vidal-Naquet hier ins Bild. Trotz der Schwierigkeiten, die eine einfache Lektüre dieses Bändchen nahezu unmöglich machen, ist es ein Verdienst, Grundsätze der revisionistischen Methode und Gemeinsamkeit herausgearbeitet zu haben. Jedes direkte Zeugnis, das von einem Juden stammt, wäre demnach eine Lüge, Zeugnisse, die aus der Zeit vor der Befeiung stammen, wären Fälschungen. Beim revisionistischen Diskurs wird das Reale durch das Fiktive ersetzt. So bauen viele Werke, wie zum Beispiel die des Kommunisten und Kämpfers der Résistance, Paul Rassinier, der in Buchenwald war und dann zu einem Vater des Revisionismus wurde, ihre Theorien oft auf nur wenigen Dokumenten auf ˆ in diesem Fall auf einem Artikel eines jüdisch-sowjetischen Journalisten, der meinte, dass 80 Prozent der Juden aus der Ukraine, aus Litauen und aus Lettland durch die Rote Armee gerettet und nach Zentralasien gebracht worden wären. Dass in diesem Band auch mit einer Ikone der Amerika-Kritik, mit dem Sprachwissenschaftler Noam Chomsky abgerechnet wird, ist gut, denn dass Chomsky ein Vorwort für ein Buch des Revisionisten Robert Faurisson geschrieben hat, ist wohl vielen nicht präsent. Chomskys Begründung dazu ist mehr als eigenartig: ≥Wie ich schon sagte, kenne ich seine Arbeiten nicht sehr gut. Aber aufgrund dessen, was ich gelesen habe, großteils wegen der Art der Angriffe gegen ihn, sehe ich keinen Beweis, der einen derartigen Schluss stützen würde (nämlich ein Antisemit zu sein, der Verf.).„ Bleibt am Schluss das Plädoyer von Vidal-Naquet: ≥1945 war die archäologische Arbeit nutzlos, weil die Trümmer noch rauchten und die Zeugnisse schrien, heute ist sie unerlässlich.„ Mit den Revisionisten kann es keinen Dialog geben, da dieser gewisse Gemeinsamkeiten voraussetzt, wie zum Beispiel die gemeinsame Achtung der Wahrheit. ≥Bisher ist der wissenschaftliche Beitrag der Revisionisten unseres Wissens auf so etwas wie die Korrektur einiger Druckfehler in einem langen Text beschränkt.„ Diskussion heißt für Pierre Vidal-Naquet demnach, so viel ist klar, keineswegs tanzen, wenn auch die sprachlichen Unschärfen der Übersetzung der Lektüre einen teils rätselhaften Charakter verleihen.

Robert Streibel


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