Robert Streibel

Holocaust ist Geschichte, Toleranz eine Frage der Zukunft

Holocaust ist Geschichte, Toleranz eine Frage der Zukunft Das 10. Yad Vashem Seminar für österreichische LehrerInnen im November 2005

Robert Streibel

≥Was zu den Unruhstiftern fährst Du?„ ≥Nach Israel, na ja, wenn Du glaubst!„, ≥Wau, das würde ich sofort tun„. ≥Schönen Urlaub!„ Zwischen diesen Polen oszilliert die Stimmung in der Umgebung jener LehrerInnen, die zum 10. Seminar des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur nach Yad Vashem aufgebrochen sind. Zwei Wochen Holocaust oder zwei Wochen Urlaub. Keines von beiden stimmt: Zwei Wochen Israel, zwei Wochen für einen Paradigmenwechsel, zwei Wochen Erfahrungen.

Yad 2:

Das Projekt ≥Nationalsozialismus und Gedächtnis. Gedächtnis und Gegenwart„ (=erinnern.at) wird im Auftrag des Ministeriums bm:bwk von Peter Niedermeier und Werner Dreier durchgeführt und weiterentwickelt und besteht aus vier Modulen: Den Seminaren in Yad Vashem, die gemeinsam mit Yariv Lapid vom Pädagogischen Zentrum in Yad Vashem durchgeführt werden, dem zentralen LehrerInnenseminar in Österreich, der homepage erinnern.at und den dezentralen Netzwerken in den Bundesländern, die versuchen, interessierte Institutionen, Schulen, Schulbehörden, Universität, Archive, Museen, Erwachsenenbildungseinrichtungen zu informieren, miteinander zu vernetzen und Kooperationsmöglichkeiten auszuloten. Seit Jänner 2006 leitet der Autor das Netzwerk Wien.

Yad 3:

Das Ziel des Seminars in Yad Vashem ist es, LehrerInnen aus allen Bundesländern von allen Schultypen und unterschiedlicher Fächer mit den neuesten pädagogischen Konzepten zu vertraut zu machen. Das Projekt hat in der Zwischenzeit internationales Renommee und auf Grund dieses Seminars hat die israelische Bildungsministerin Limor Livnat ihre österreichische Kollegin Elisabeth Gehrer zu einem Arbeitsbesuchbesuch eingeladen, der genau zum zehnten LehrerInnenseminar im November 2005 stattfand.

Yad 1:

Yad Vashem besitzt das weltweit größte Dokumentationsarchiv sowie die Halle der Namen, in deren digitalisierter Datenbank die Namen der Holocaust-Opfer aufgenommen sind. Die Central Database of Shoah Victims‘ Names ist online zugänglich. Die Namen der Opfer stammen zum größten Teil von Hinterbliebenen und Zeugenaussagen oder wurden den Deportationslisten der Täter entnommen. Bisher sind ca. 3,2 Millionen Namen erfasst. Viele Regale im runden Turm werden jedoch immer leer bleiben, da viele Opfer ohne Namen bleiben werden.

Was tun mit dem Holocaust? Der Holocaust ist Geschichte. Toleranz ist eine Frage für die Zukunft. Wie das größte Verbrechen der Menschheit heute für die Ausbildung von Toleranz herangezogen werden kann, das vermittelt unter anderem dieses Seminar. Ein mehr als ungewöhnlicher Ansatz, der mehr beinhaltet als das oft geäußerte Schlagwort: Aus der Geschichte lernen. Für LehrerInnen ist es eine große Verantwortung, das Thema der Judenvernichtung anzuschneiden.

Die SchülerInnen werden in ein schwarzes Loch geführt und die Aufgabe der LehrerInnen ist es, sie auch wieder heil durch dieses Loch herauszuführen, so Shulamit Imber, von Pädagogischen Zentrum in Yad Vashem.
Holocaust – das sind nicht nur Leichenberge und Gaskammern. Zumindest nicht am Beginn. Lea Roshkovskys macht klar, dass zwischen israelischen und österreichischen SchülerInnen nicht viel Unterschied besteht. ≥Wenn ich in die Klasse komme und sage: Heute machen wir den Holocaust, dann hält sich die Begeisterung in Grenzen. Und wenn ich es nicht in den Augen lesen kann dann höre ich es auch: Nicht schon wieder.„ Die Ergebnisse der Prüfungen belegen dies, wenn nur 65% das Ziel erreichen. ≥Wir haben lange gebraucht, um selbst den richtigen Umgang mit dem nicht nur für uns so wichtigen Thema zu entwickeln.„ Sie stellt das Programm ≥Fly Like a Butterfly„ (≥Fliegen wie ein Schmetterling„) vor, mit dem selbst Kinder in Volksschulklassen mit der Ausgrenzung und Stigmatisierung von Juden vertraut gemacht werden können. Das Buch basiert auf der Geschichte von Hannah Gofrith, die in Bela geboren wurde und deren Familie von einer polnischen Familie versteckt wurde. Für die Familie Skovronek wurde in Yad Vashem auch ein Baum gepflanzt.

Yad 5:

Die ≥Gerechten der Völker„ nehmen einen zentralen Platz in vielen pädagogischen Konzepten ein. Wer waren diese Menschen, die Jüdinnen und Juden gerettet haben? Lea hält das Buch mit dem farbigen Umschlag nicht zufällig die ganze Zeit aufgeschlagen. Nicht schwarz-weiß soll die Darstellung prägen und diesen Gesetzen gehorcht auch diese Präsentation keineswegs. Wichtig ist es immer zu vermitteln, dass es ein Leben vor der Vernichtung gegeben hat.

Yad 7:

≥Individualisierung ist eine Frage der Zeit„, so erläutert Yariv Lapid in seiner Führung durch das Gelände an den verschiedenen Denkmälern den jeweils aktuellen Stand der Erinnerung in der israelischen Gesellschaft und des entsprechenden Narratives. Yad Vashem wurde 1953 gegründet, zu einer Zeit als der Kampf mit den arabischen Ländern um das Existenzrecht Israels noch keineswegs entschieden war. Die Hälfte der Bevölkerung waren Überlebende des Holocaust. Der Umgang mit der Vergangenheit war dogmatisch. In diesem Sinne wurde ein Gesetz gegen Nazis und ihre Helfer verabschiedet, rund 40 Kapos, also Opfer, die auch Täter waren, wurden verurteilt. Um so außergewöhnlicher ist es, dass sich von Beginn an die Opfer mit ihren Rettern beschäftigten und die Allee der Gerechten gründeten.

Yad 9:

Im neu eröffneten Museum ˆ seit März 2005 durchschneidet ein Stahlbetonbau in Form eines dreieckigen Stabes den Berg – ist die Tatsache, dass immer die Geschichte der Opfer vor dem Holocaust einen zentralen Stellenwert einnehmen muss, nicht gerade ein Schwerpunkt.

Yad 4:

Versucht wird dies aber mit einer beeindruckenden künstlerischen filmischen Installation am Beginn darzustellen. Die Leinwand füllt das gesamte Dreieck von der Spitze bis zum Boden aus. In diesem Film bekommt die europäische Landkarte ein sonderbares Leben, denn in den Orten wird das Leben der jüdischen Gemeinde lebendig: Häuserreihen, in deren Fenstern Menschen sichtbar werden, Feste gefeiert, die Synagoge besucht wird. Es herrscht Alltag: Schlittschuhlaufende Kinder, tanzende Juden – für die BesucherInnen ist dies ein Einstieg. Doch wer verharrt schon lange am Beginn mit dem Wissen wie weit der Weg noch ist. Dieser Teil des Museums schwebt im Freien, unglaublich, dass es so etwas gegeben hat. Der Weg zur Endlösung und darüber hinaus ist klar, alles muss durchschritten werden, um im Freien wieder anzukommen, das Dreieck öffnet sich. Die Räume sind eng. Was hier geboten wird, ist unmöglich in einem Besuch zu erfassen. Zwei mal zwei Stunden verbringt die LehrerInnengruppe im Museum und bei weitem nicht alle Filme und Tafeln sind dabei gesehen worden. Historiker bestimmen die Geschichte, die Pädagogen werden dabei nicht immer gehört.

Yad 6:

Zurück zur Präsentation von Lea Roshkovskys. Sie beginnt ihre Geschichte mit dem Ende, denn Hannah hat überlebt, hat einen Sohn und drei Enkelkinder.

Yad 10:

Die Geschichte ist gut ausgegangen. ≥Revenge„ hat einen eigenen Charakter und keineswegs jenen, der in Österreich den Juden gerne zugeschrieben wird. Überleben ist Rache. Die Vorstellung der Old Austrians im Hotel Shalom verläuft fast immer gleich. Der Name wird genannt, kurz der Beruf erwähnt, die Zahl der Kinder und wie viele Enkelkinder bereits vorhanden sind. Sie haben überlebt. Das Leben ging weiter. Wir haben es geschafft. Wir haben Kinder und Enkelkinder. Ein Phänomen nicht nur bei dieser Begegnung zwischen den Generationen. Ministerin Gehrer hört die Geschichten und ehrt Prof. David Weiss, der in Wiener Neustadt geboren wurde und sich als Immunologe in den USA und Israel einen Namen gemacht hat, mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Wissenschaft der Republik Österreich.

Yad 11:

Neben der Arbeit an pädagogischen Konzepten (zum Beispiel der Vermittlung des Lebens im Ghetto) stehen Vorträge zu historischen Themen auf dem Programm. ≥Jews in the Christian world„ von Prof. Ed Fram, kombiniert mit dem Vortrag von Yehuda Bauer zeigen eine kompakte Bestandsaufnahme des 2000jährigen Antisemitismus. Der Literaturwissenschafter und Romanautor Prof. Jacob Hessing entwickelt die Spuren der Juden in der Literatur. Dr. David Silberklang zeigt in seinem brillanten Vortrag ≥The Final Solution„, dass die Vernichtung des Judentums lange vor der Wannsee-Konferenz begonnen hat. Der Part im neuen Museum, der die mörderische Arbeit der Einsatzgruppen exemplarisch in einer Woche dokumentiert, stellt das bis heute nur schwer Fassbare des Mordens auf die Tagesordnung.

Yad 12:

Im Norden des Landes kann auch der Kibbuz, den die Ghetto-Fighters gegründet haben und wo sich heute das Lochamei-Hagetaot-Museum befindet, besucht werden. Ein Kindermuseum, Schwerpunkt Janos Korczak, gehört dazu. Wegweisend ist sicherlich das Humanistische Zentrum. Die Gruppe um Raya Kalisman versucht, den Holocaust auch arabischen SchülerInnen zu vermitteln und eine Begegnung mit gleichaltrigen Israelis zu organisieren. 25 Schulen kooperieren mit dem Zentrum. Einmal in der Woche hören die arabischen Jugendlichen über den Holocaust, denn in ihren Schulen erfahren sie darüber nichts. 3 Jahre dauert das Programm. Die Begegnung zwischen israelischen und arabischen Jugendlichen kann keine kurzfristige Sache sein. Begegnung, die nur einmal stattfindet, verstärkt die Vorurteile, statt sie abzubauen, so ist der Tenor des Gesprächs. ≥Listen to the stories„, heißt es dann für beide Seiten. Holocaust und Nakba (die Flucht/Vertreibung der Araber im Jahr 1948) werden nicht verglichen, doch die Geschichten von beiden Seiten werden erzählt und gehört. Wenn die arabischen StudentInnen ihre Eltern durch die Ausstellung im Museum über den Holocaust führen, dann ist ein kleiner Schritt getan, viele müssen folgen.

Yad 13:

Das Bild von Israel hat sich bei allen LehrerInnen geändert und die Einsicht, dass der Nahost Konflikt einer der kompliziertesten Konflikte überhaupt ist, für den es keine einfachen Lösungen geben kann, ist auch eine Erkenntnis. Dass auch bei uns noch viele Schritte notwendig sind, wird auch aus den Reaktionen deutlich, interessierte Fragen von KollegInnen und von SchülerInnen, Gespräche über die pädagogische Umsetzung des Gelernten, aber vereinzelt auch kurze Kommentare, die keiner Erklärung bedürfen. Variante 1: ≥Dort würde ich nie hinfahren, wie die mit den Palästinensern umgehen.„ Variante 2: ≥Und, was hast du gehört. Niemals vergessen und Geld, Geld, Geld, nehme ich an„. Bisher haben mehr als 200 LehrerInnen das Seminar in Yad Vashem besucht, das ist mehr als ein Anfang.

Yad 14:

Mehr über die Plattform erinnern.at im Internet unter www.erinnern.at. In dezentralen Netzwerken treffen sich LehrerInnen in den Bundesländern um ihre Erfahrungen mit Holocaust Education auszutauschen und neue Projekte zu entwickeln. Koordinator für das Netzwerk Wien ist Dr. Robert Streibel, Volkshochschule Hietzing Tel. 804 55 24-12, r.streibel@utanet.at .

Yad 8:


Categorised as: Artikel