Robert Streibel

Papst, Porto und Benfica

Gewalt und Fanatismus. Eine teilnehmende Beobachtung in Porto Robert Streibel, 2.5.2010

Der Papst kommt nach Porto und die Kirchen sind voll, mit Gläubigen und die Glasvitrinen sind voll mit geschundenen Christi, es gibt zwar nur einen und so klingt auch die Mehrzahl etwas eigenartig, doch in jeder Kirche liegt einer im Schneewitchensarg, täuschend echt, das Blut frisch geronnen, lackiert, damit es wie just geronnen aussieht. Vor dem Papst kommen wir, auf den Spuren des Fanatismus, zum dritten EU Treffen im Rahmen des FIT Programms. Ziel ist es einen Test zu entwickeln, um die Bereitschaft für Fanatismus ablesen zu können, doch mit dem Test, da spießt es sich und klar ist, dass wir diesmal die Prävention in den Vordergrund stellen. Theater Forum wollen wir selbst an uns ausprobieren.

So wenig Erfahrung über das Theater der Unterdrückten, oder so blass die Vorstellungen darüber sind, so ähnlich verhält es sich mit der Kenntnis der portugiesische Geschichte. Die kleine Welt in der Probe zu erleben, wie eine Landung in der Landschaft einer Modelleisenbahn kommt es mir vor, als wir in der U-Bahn sitzen, ganz modern und nur zwei Wagen sind es, die Stationen sind neu, die Menschen haben die Größe wie bei uns und alles scheint doch an den Rand gedrückt. Ist das die geographische Lage an der Außenseite von Spanien? Aber eine Siesta gibt es hier nicht, hören wir gleich am Beginn von unseren Freunden. Die Geschichte sollte man kennen, wir kennen gerade so viel, dass wir wissen, dass die roten Nelken nicht für den 1. Mai stehen, sondern für die Nelkenrevolution, 1974. Also die Diktatur war und jetzt ist Finanzkrise, das nächste Land nach Griechenland könnte Portugal sein. Die Männer an den Ecken tragen Anzüge, alte Männer, so muss Portugal sein, ohne viel zu wissen, so hatte ich es mir vorgestellt, Saramago, Pessoa, das sind die literarischen Bezüge. Gibt es ein Wiederkennen ohne erkennen, eine Ahnung dessen was es sein könnte?

Porto, Weltkulturerbe rund um den Douro, die Brücke ist eine Stahlkonstruktion, man merkt, dass der Ingenieur Théophile Seyrig bei Gustave Eiffel gelernt hat, wie ein liegender Eiffelturm, auf alle Fälle aber sinnvoller, wenn auch nicht so berühmt. Der Bahnhof mitten in der Stadt, die Halle so voll mit blauen Fliesen, wie die Kirchen, außen und innen. Jugendstil, die Häuser verfallen malerisch und die Stahlgerüste, die sie stützen sind auch schon mit Moos bewachsen, nicht irgendwo verfallen die Häuser, sondern gleich neben dem Rathaus, wenn sie restauriert wären, würden zwei, drei Häuserreihen an Paris erinnern. Die Wäsche hängt in den engen Gassen und auch bei Dunst sind die Straßen glitschig. Wie ist das erst nach einem Regen? Resistenza heißt eine Ausstellung ein schönes rotes Plakat an einem großen Palast, es war das Gefängnis und die großen Fotos geleiten durch die Geschichte Portugals. Die Beschriftung nur auf Portugiesisch. Die Geschichte ist nichts für Fremde. Verwunderung und Unsicherheit, da ich auf Mutmaßungen angewiesen bin. Salazar, der Diktator, ohne Uniform, ein Feschak, ganz staatsmännisch mit einem Stresemann. Nicht nur mir geht es so, bei der Wahl des wichtigsten Mannes für Portugal wurde er vor einigen Jahren wieder auf Platz 1 gewählt, der langjährig inhaftierte führende Genosse der KP Alvaro Cunhal auf Platz 2 von ihm gibt es ein Foto in der Ausstellung, hager, abgemagert. Was war eigentlich 1927 in Portugal? Ein Aufstand, eine Rebellion, die Anarchisten sind stark und eine Gruppe steht da und schaut in die Kamera, so sehen Kämpfer aus! Oder stehen sie bereits vor dem Erschießungskommando? Geschichte ohne Beschriftung nur an Hand von Annahmen zu erzählen, eine Herausforderung.

Einen Tag mit Pessoa unter dem Arm durch die Stadt gehen, er hat zwar über Lissabon geschrieben, doch der Nationalcharakter, der ist auch in Porto zu spüren, dafür würde ich sicherlich gesteinigt werden, denn die Rivalität zwischen den Städten ist beachtlich. Es kann schon passieren, dass wer seinen Kaffee falsch bestellt und so als Vertreter der Hauptstadt geoutet wird, länger oder vergeblich auf den Kaffee warten muss. Und ohne viel zu suchen habe ich die passenden Stellen für die Straßenbahnfahrt gefunden, für die Möwen, ein weiterer Autor, der nun Kurzgefilmt wird. Lesen während das passiert, worüber Pessoa geschrieben hat. Aus dem Moment heraus. Nachzusehen auf youtube. Ein Tag Pessoa reicht mir, am Abend nicht mehr als zwei, drei Kapitel, wer lädt sich schon die Depression auf den Buckel, nimmt sie zur Hand, wenn dann nur in homöopathischen Dosen. Bevor Benfica gegen Porto spielt werden wir die Stadt verlassen. Ein wichtiges Spiel in der Meisterschaft, mit einem Sieg könnte Benfica die Meisterschaft gewinnen, aber können wir das zulassen meint ein portugiesischer Freund. Selbst, der Soziologe, der über Gewalt und Fanatismus bei Fußballfans forscht, bekommt ob der Tatsache, glänzende Augen. Unvorstellbar, dass Benfica Meister wird und die Party dann in Porto stattfindet. Benfica, das ist der Klub, den es auch in der Diktatur gegeben hat, irgendwie gibt es da Beziehungen, wenn nicht wirklich, für die Fama ist das gut, Porto, das ist der Widerstand, schon immer, schon in der Französischen Revolution. Eine Stadt, die nie erobert wurde. Die Ultras von Porto haben angeblich 3.000 Golfbälle gekauft um die Autos der Fans von Benfica zu beschießen. Fanatismus live. Doch Benfica muss nach der 3:1 Niederlage um den Titel zittern.

Gewalt, das ist so eine Sache in Porto. Am Beginn haben wir sie nur auf der Bühne erlebt, aber auf keiner normalen Bühne, denn das Forum Theater ist ein Spiegel gesellschaftlicher Konflikte. In einer problematischen Gemeinde mit Arbeitslosigkeit, Gewalt und Drogenproblemen haben die MitarbeiterInnen von Pele, Espaco de Contacto Sociale e Cultural seit Herbst mit den Interessierten gearbeitet und am Samstag vor dem 1. Mai war es so weit. In der Schule für Darstellende Kunst auf einem Hügel, von denen es so viele gibt wie verfallene Häuser in Porto spielen an diesem Abend keine SchauspielerInnen. Eine Familie, die Mutter angefressen, dass der Mann arbeitslos ist und erst knapp vor Mitternacht nach Hause kommt, macht ihm eine Szene, der Mann sitzt eingeschüchtert daneben. Der verbale Ausdruck der Frau ist unglaublich, jeder Vulkan in Island könnte hier in Porto in die Lehre gehen, Augenrollen, Messerklirren, schiefe Blicke, bösartige Ironie. Die Frau spielt sich selbst und genießt diese Macht, der Mann verschwindet im defensiven Nebel. Warum gestritten wird, das verstehen wir nicht, Bruchstücke der Übersetzung reichen. Doch halt, bevor die Szene mit Hilfe der ZuseherInnen verändert wird, muss noch der Beginn der Aufführung erwähnt werden, denn als Auflockerungsübungen werden SchauspielerInnen und Publikum gebeten an einigen Übungen teilzunehmen, die Grenzen sind schnell überwunden, wenn Käfige mit Händen gebildet werden, um die kleinen Fische vor den Haifischen zu schützen. Sprache spielt nach Sekunden keine Rolle mehr, ein Erlebnis, das es festzuhalten gilt.

Nach der kurzen Szene mit dem Muttervulkan die Frage von Irene, die als Joker fungiert, was an dieser Szene zu ändern sei. Ist sie eine Magierin oder wie schafft sie es, dass innerhalb kurzer Zeit eine Frau auf der Bühne die Rolle des Mannes übernimmt, der schmunzelnd an der Seite zusieht wie die Situation durch ihre Veränderungen weniger eskaliert. Jugendliche, die in einem Waisenhaus leben, sind unter den ZuseherInnen und sie melden sich und spielen die Tochter und den Vater. Sie sind 16 und 17 Jahre alt und spielen, als könnten sie nicht nur die Situation, sondern auch ihr Leben verändern. Hat der eine braunhäutige Junge mit den großen Kopfhörern, die er auf der Bühne runternimmt, Tränen in den Augen, weil seine Intervention nicht so geglückt ist? Nur die Mutter bleibt gleich, sie muss improvisieren, sie sollte improvisieren, doch sie verändert ihr Verhalten nicht. Mit ihr müssen wir noch arbeiten, meint Irene, sie muss lernen auf die geänderten Bedingungen einzugehen. Ein weiter Weg. Bei unserem abschließenden touristischen Programm fahren wir mit dem Schiff auf dem Douro, wir passieren auch einige hässliche gelbe Wohnhäuser: Das ist das Viertel, wo jene ≥Schauspieler≈ leben, von denen wir einige im Theater auf der Bühne gesehen haben. Ein bisschen wie die Vorhölle von Dante, muss es in diesem Viertel zugehen, müssen wir aus den Erzählungen schließen. Einen Wohnturm können selbst die SozialarbeiterInnen nicht betreten und wenn, nur mit Westen, die sie für die Polizei als solche ausweisen, falls es eine Razzia gibt. Vor einem Jahr starb Augusto Boal, der das Theater der Unterdrückten begründet hat, seine Methode lebt höchst erfolgreich, auf dem Hügel in Porto erleben wir es.

Gewalt auf der Bühne haben wir gesehen, doch einen Tag später, dieselben Verhaltensweise bei einem älteren Pärchen in einem Kaffee auf dem Plaza de la Libertad, sie genießt ihre Macht und der Mann scheint immer dünner und durchsichtiger zu werden. Das kann doch keine Kopie des Stückes vom Vortag sein? Und zwei Straßen weiter streitet eine Frau mit Kinderwagen mit ihrem Mann, beschimpft ihn über die Schulter zurückblickend, für einen Moment verstummen selbst die Möwen. Gewalt in Porto. Ein Zufall vielleicht? Am Sonntag zwei Autofahrer, die sich würgen und einer ist nahe daran dem anderen mit einem Begrenzungspfahl den Schädel einzuschlagen. Forum Theater war das nicht, aber von Nöten wäre es auch hier. Was ist los mit den Frauen? Das ist der Backslash für die Matchogesellschaft, hoffe ich, meint Hugo von Pele augenzwinkernd.

Gewalt, Zufallsfunde auf den Straßen, auf denen ein reges Treiben herrscht, die Woche der StudentInenn beginnt. Mit schwarzen Anzügen streifen sie durch die Stadt und die die schon zwei oder drei Semester hinter sich haben, die tragen noch dazu Umhänge, so als würde die Werbung von Sandmann, dem Portweinerzeuger, der einen Mann in Schwarz zeigt, darauf Bezug nehmen. Sandmann, das sind die Umrisse, die gemeinhin an Zorro erinnern, doch wer die StudentInnen von Porto erlebt hat, der wird sich nicht mehr sicher sein. Wie sie die Straßen erobern, in Gruppen, sie singen und schreien sich viel aus dem Leib, vielleicht die etwas harrschen Aufnahmerituale, die noch immer herrschen sollen. Ein reges Treiben, ein wenig furchterregend sind die Gesänge, denn die Gruppen beginnen oft unmotiviert zu laufen, in geschlossener Formation vorne eine, einer mit einem großen Kochlöffel. Sie singen, dass sie nicht 67 und nicht 68 wollen, aber 69, dafür sei Zeit. Zahlenmagie in Porto? Die 6 und die 9, das sei doch Klar meint Juao, die sind seitenverkehrt und passen ganz eng zusammen. 69, das ist Sex. Lustig anzusehen sind die Gruppen, aber auch eine Inszenierung für Fanatismus-ForscherInnen.

Am nächsten Tag ist Muttertag und die StudentInnen schlendern übernächtig durch die Stadt, die Familien sind angekommen, um ihre Sprößlinge zu feiern, keine Idee von der Macht der Gruppe, ganz brav und sittsam, eine Freude für die Familien, an den Farben der Bänder und der Blumen ist die Fakultät abzulesen und färbige Zylinder und Stöcke sind ebenso gefragt in diesem Ritual. In den Seitenstraßen, da markiert Erbrochenes die häufig beschrittenen Wege, am Nachmittag des ersten Tages schleppen sich manche schon mit schwarzen Ringen unter den Augen durch die Stadt und dabei ist nicht einmal der zweite Tag so richtig angebrochen, denn die Nächte, das sind die Tage in dieser Woche.

Andere Gesänge hören wir in einem kleinen Lokal neben dem Kristallpalast, dichtgedrängt sitzen die BesucherInnen auf 7-8 Tischen, der Mittelgang ist die Bühne, für ein besonderes Fado-Ritual, an diesem Abend singen Männer. Sie haben vielleicht nicht mehr alle Zähne, aber sie tragen Anzüge und Westen und Krawatte, sie haben schon bessere Tage gesehen, Leidenschaft im Mittelgang und manchmal sind es Zwiegesänge der Sänger an den Tischen mit jenen die für kurz im Mittelgang stehen. Einer kann fast nicht zu Ende singen, weil er so lachen muss. Schwermut, das ist Fado, doch nicht nur, ohne Übersetzung beobachten wir das Spiel, die Inbrunst und nur beiläufig so kurz vor Mitternacht, als wir schon in einer anderen Bar sitzen, ist zu erfahren, das manche Lieder schon ganz tief gewesen seien, dass die Männer von Tellern essen und die Frauen aus dem Sautrog, so ungefähr. Sich nur auf das Gefühl zu verlassen kann manchmal wohl auch zu Mißverständnissen führen oder zumindest nur einen Teil der Wahrheit erschließen, nicht nur in Porto.


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