Robert Streibel

Radfahrende Redundanz

Egyd Gstättner umradelt in seiner Erzählung ≥Das Mädchen im See„ den Wörthersee vielleicht zu oft.

Robert Streibel

Schon wieder Wörthersee. Egyd Gstättner kommt nicht davon los. Warum aber auch? Sich an Orten abzuarbeiten bis der Mief der Heimat verschwunden und das Gefühl der Zugehörigkeit einen Charakter bekommt, der trotz der Tourismusfassade Bestand hat, kann eine Lebensaufgabe sein. ≥Unser Land ist ein Kessel. Man muss hinaus, um nicht eingekocht zu werden. Man muss hinaus, um weiterzukommen; man muss hinaus, um immer wieder zurückzukommen; mit einem warmen Gefühl, aber man muss hinaus.„

In der Erzählung ≥Das Mädchen im See„ ist der Wörthersee nicht Staffage, sondern einer der Hauptakteure, der andere ist ein mehr oder weniger gescheiterter Schriftsteller, der infolge eines überlebten Herzinfarkts nicht mehr Rauchen darf und darüber hinaus an der Provinz und den lügnerischen Versprechungen der Tourismusbranche leidet.

Im Wörthersee ist nicht nur schön schwimmen, im See lässt es sich auch trefflich ertrinken. Das tat im Jahr 1867 eine gewisse Ottilie Freiin von Herbert im Alter von 22 Jahren, die überdies auch noch das einzige Kärntnerlied in Molltonart geschrieben hat. Da auf ihrem Grabstein steht: ≥Ich will wiederkommen/ Und euch zu mir nehmen/ Damit ihr dort seid/ Wo ich bin„ ist es für einen sensiblen Dichter, der mit dem Rad den See umrundet, fast selbstverständlich, sich davon angesprochen zu fühlen. Soweit die Lokal- und Weltgeschichte dieser Erzählung. Ottilie wird für den Dichter zur Gesprächspartnerin, der er die Welt und nicht nur das Leben rund um den Wörthersee erklärt. ≥Das Dasein ist leicht, aber das Leben ist schwer. Niemals hat es mehr Tristesse und Frustration und Depression gegeben als in unserer schönen neuen Welt. Niemals waren die Menschen leerer, schwächer, dürftiger.„

Über weite Strecken ist diese Welterklärung für eine Verstorbene des vorvorigen Jahrhunderts für den Leser reizvoll, amüsant und belehrend, denn überdies hat nicht nur Ottilie am See gelebt, sondern auch Gustav Mahler oder Ingeborg Bachmann. Das heißt Lokalgeschichte wird zur Geistesgeschichte. Spannende Ausblicke auf der Reise sind in diesen Abschnitten garantiert. Andere Prominente geben für diesen Zweck nicht soviel her wie zum Beispiel die Aufenthalte des norddeutschen ≥Langeweilers Brahms„, aber so ist das Leben.

Die Lebens- und Zeitkritik ist geistreich. (≥Wenn man nichts mehr beabsichtigt, kann man immer noch besichtigen.„) Die Konfrontation mit Schopenhauer, Roy Black und der Fernsehserie ≥Schloss am Wörthersee„ zuweilen witzig. Doch der Dichter radelt sehr oft um den Wörthersee und nicht viel anders ist es mit seiner Kritik und seinem Habitus. Es wiederholt sich wie das Lamento über das erzwungene Nichtrauchen. Zweimal ist schon ein Mal zuviel, denn für eine Bernhardsche Redundanz reicht es nicht.

Das Mädchen im See Erzählung von Egyd Gstättner Wien, Edition Atelier 2005 167 Seiten, geb., Euro 17,-


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