Robert Streibel

Tot im Leben

In Arnon Grünbergs Roman ≥Der Vogel ist krank„ ist der Nihilismus eine Frage des Alltags

Robert Streibel

Die Kunst besteht darin, alles verstehbar zu machen auch Verhaltensweisen, die beim bloßen Erzählen bereits Kopfschütteln, Gänsehaut und oder Erschrecken hervorrufen würden. Dem niederländischen Schriftsteller Arnon Grünberg gelingt dies mit seinem zweiten Buch ≥Der Vogel ist krank„, in dem er das Verhältnis zwischen dem ehemaligen Schriftsteller Christian Beck und seiner langjährigen Lebensgefährtin präsentiert. Es ist ein Leben nach dem Ende, jenseits vieler Grenzen der Konventionen, das hier abläuft. ≥Dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, hat er beschlossen, ständig auf ihn gefasst zu sein. Etwas in ihm ist gestorben, er wartet darauf, dass der Rest ebenfalls stirbt„.

Doch es gibt ein Leben nach diesem Tod und das läuft einförmig ab, die Menschen sind höchstens Schatten oder werden als solche erlebt und mit Synonymen bedacht. ≥Der Vogel ist krank„ sind die ersten Worte des Buches, Worte, die die Freundin spricht und sich selbst damit meint. Christian Beck ist nach den Regeln unserer Gesellschaft tot, denn den ermüdenden Wettlauf nach Glück hat er aufgegeben. Das Sterben seiner Freundin spielt sich und vor seinen und somit auch vor den Augen der Leser auf den nächsten Seiten ab.

Ein gar nicht so selten anzutreffendes Nebeneinander leben die beiden und um diese Geographie zu verdeutlichen, dafür sind die ersten Seiten vorgesehen und der Schriftsteller Grünberg wird zum Kartographen. Keine Sehnsüchte mehr, ≥sie teilen den Geruch des anderen, seine Vergangenheit, das Bett, die Einsamkeit„ und ≥Großes Glück existiert nicht, nur Leiden ist groß„. Christian Beck hat sich von der Literatur verabschiedet und übersetzt nur mehr Gebrauchsanweisungen, da seine künstlerische Quelle vergiftet war. Was es mit dieser Vergiftung zu tun hat und wie es dazu kam, ist aus den Rückblenden zu erfahren, denn Beck könnte auch als sexsüchtig bezeichnet werden.

Er besucht das Bordell wie andere die Kirche. Ohne Voyeurismus, kalt und distanziert schildert Grünberg das Leben. Das Mitleid für Beck bekommt eine Geschichte mit einem brutalen Gesicht und die distanzierte Obsorge für seine Gefährtin ist ein fast rührender Versuch angesichts der Verletzungen, die er ihr zugefügt hat. Dass sie auch gestrandete Existenzen mit nach Hause und ins Bett nahm, geschah nicht aus Protest oder um es ihm heimzuzahlen, sondern müssen nur als hilflose Selbstvergewisserungen erscheinen, Brücken über die Sinnlosigkeit zu bauen.

In dieser Seelenlandschaft gibt es jedoch auch Wege, was so viel heißt, dass natürlich auch eine Geschichte erzählt wird. Die Frau heiratet kurz vor ihrem Tod einen Asylanten und Beck schläft in der Garderobe. Eine Kurzgeschichte, deren Abdruck er zustimmt, um sich eine Klimaanlage kaufen zu können, und wo er beschrieb wie ein Bordell in die Luft gesprengt wird, bekommt kurz nach der Veröffentlichung durch einen ähnlichen Anschlag eine Brisanz, die die Medienmeute auf seine Spur bringt.

Die Frau stirbt, der Asylant, an den sich Beck gewöhnt hat, beschließt sein Volk zu befreien und Beck bleibt alleine im Regen, noch nicht tot, aber noch mehr von ihm ist gestorben. Er betrachtet die Bäume und Pflanzen ≥und endlich sieht er alles, was er verloren hat„. Eine eindringliche Schilderung, die keine Schuldigen benennt und gerade dadurch zum Exempel für fragwürdig vordergründige Werte unserer Gesellschaft taugt.

Arnon Grünberg: Der Vogel ist krank. Zürich: Diogenes Verlag geb. 2005, 495 Seiten, geb. Euro 22,90


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