Robert Streibel

Wenn Geschichte zur Einbahnstraße wird.

Wenn Geschichte zur Einbahnstraße wird. Gerhard Jelinek: Nachrichten aus dem Vierten Reich. Ecowin Verlag 2008, 213 Seiten.

Robert Streibel

Bücher erzählen Geschichte und Bücher haben eine Geschichte. Selten ist beides so interessant, dass sie auch in einer Besprechung Beachtung finden muss. ≥Das vierte Reich„ von Gerhard Jelinek zählt zu dieser Sorte von Büchern. Der Titel greift eine ironische Replik von Emigranten auf Hitlers ≥Drittes Reich„ auf. Washington Heights, jenes Viertel im Norden von Manhatten, vornehmlich von Flüchtlingen bewohnt erhielt diesen Namen. Der zweite Name ≥Frankfurt on the Hudson zeigt, dass auch in der Ferne der ≥Anschluss„ vollzogen wurde und Österreicher als Deutsche firmierten.

Diese Sammlung von Erinnerungen von Emigranten, von Vertriebenen, von jenen vor dem Nationalsozialismus in die USA Geflüchteten, hat eine längere Vorlaufzeit. Die zwanzig Interviews und Gespräche wurden bereits 1988 ˆ die Waldheim-Affäre hatte mit dem Bericht der Historikerkommission nur ein formales Ende gefunden – von Gerhard Jelinek und Andreas Weber, die zu dieser Zeit als Journalisten für die ≥Wochenpresse„ für eine Serie in die Vereinigten Staats gereist waren, geführt. Die Tonbandkassetten lagerten im privaten Archiv ≥aufbewahrt und fast vergessen„.

Derartige Gespräche spiegeln für die einzelnen Interviewten auch einen anderen neuen Zugang zu ihrer ehemaligen Heimat wider. Peter Marboe meint im Vorwort, dass für ihn rückblickend die Begegnungen mit den Emigranten in New York ≥prägend wie kaum etwas anderes„ waren. Die Gespräche wurden also zu einer Zeit geführt als ≥die Fremde nicht Heimat, aber die Heimat Fremde war„, wie es Alfred Polgar formuliert hatte. Die Emigranten holten sich damals ≥in regelmäßigen Abständen ihre Lebensbestätigungen beim Generalkonsulat ab, ohne aber weitere Kontakte zu suchen„.

Die Tonbänder sind daher in diesem Sinne auch Fossilien österreichischer Zeitgeschichte und natürlich ist zu fragen was dazu beigetragen hat, damit der Jahrzehnte vernachlässigte Kontakt der Emigranten zu ihrer geraubten Heimat sich verbessert, vielleicht normalisiert hat. Die Begegnung mit einem anderen Österreich gehörte sicherlich dazu und somit wird dieses Buch zu einem unausgesprochenen Plädoyer für jene Österreicher, die im Rahmen des Gedenkdienstes die Kontakte zu diesen Österreichern führen. In New York ist es das Leo Baeck Institut, wo ebenfalls Interviews aufgezeichnet und Kontakte gepflegt werden. Am Ende des Gedenkjahres 2008 muss auch über nachhaltige Aktivitäten gesprochen werden. Was bleibt von den Gesten und Denkmäler, seien es nun Steine oder Erinnerung in Gedanken.

Eine Aufwertung dieser jungen Botschafter des anderen Österreichs wäre eine Initiative. Die Aktion ≥Letter to the star„ ist von einigen HistorikerInnen heftig kritisiert worden, der Ansatz, den Kontakt zwischen Jugendlichen und ZeitzeugInnen herzustellen war für alle Beteiligten eindringlich wie keine Geschichtsstunde, wie eine Begegnung nur sein kann. Diese Kontakte nicht nur als Einmalaktion sondern als Dauereinrichtung zu schaffen, wäre eine Lehre dieses Gedenkjahres. Soweit die Geschichte dieses Buches.

Für einen Großteil der Erinnerungen im Band ≥Das vierte Reich„ ist der Kontakt nur mehr eine Einbahnstraße, denn ein Großteil ist bereits verstorben. Die Geschichten, die dieses Buch erzählt, machen deutlich wie stark und lebendig die Erinnerung sind, meist nach einigen Zeilen ist die Leserin und der Leser in einer anderen Welt. Sei dies nun Richard Beceller, der seine Naivität im März 1938 schildert: ≥So arg kann es nicht sein, in Mattersburg werden sie auch weiterhin einen Doktor brauchen.„ Sei dies nun die Analyse des Antisemitismus, der auch in der Sozialdemokratie geherrscht hat, wie er von Wilhelm Stricker erinnert wird.

Die Liste der Namen und Kurzbiographien machen deutlich, wie groß der intellektuelle Aderlass für Österreicher war. Die erste Studentin der Nationalökonomie Steffy Browne (Braun), der Fotograf Robert Haas, der Arzt Hans Kaunitz, der Pfarrer Johannes Österreicher, der sich auch in Amerika für den christlich-jüdischen Dialog einsetzte, oder Franz Leichter, der sich auch in Amerika politisch engagierte und beim Konvent der Demokratischen Partei zur Nominierung von Bill Clinton als Präsidentschaftskandidat war.

Das Verhältnis zu Österreich zur ehemaligen Heimat zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Und die Bandbreite der Antworten reicht von ≥Ich habe keine Heimat, aber das Nächste, was ich als Heimat bezeichnen würde, wäre Österreich„ (Fritz Kaufmann) bis zu ≥Ich fühle mich nicht als Österreicher, aber ich habe viele Freunde dort„ (Franz Leichter)

Natürlich gebe es bei dieser Sammlung auch Einwände zu formulieren, denn die Berichte sind von unterschiedlicher Länge und Dichte und die Auswahl der erklärenden Anmerkungen sind höchst unterschiedlich gehandhabt. Nicht viel anders verhält es sich mit den erklärenden Biographien. Und natürlich wäre die Frage nach der Bearbeitung der Gespräche zu stellen. Trotz dieser kritischen Einwände lebt das Buch von der Lebendigkeit der Erzählungen und liefert somit ein praktische Beispiel für den Satz des deutschen Künstlers Jochen Gerz, der mit einer Reihe von Mahnmalen für die Opfer der Shoah von Hamburg bis in Verbindung zu bringen ist: ≥Denn die Orte der Erinnerung sind Menschen, nicht Denkmäler„.


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