Robert Streibel

Wo bitte geht’s hier nach Stalingrad?

Schleichen, ducken und tarnen: der Umgang mit unserer militärischen Geschichte

Vor 70 Jahren fügte die Rote Armee der Deutschen Wehrmacht eine vernichtende Niederlage zu. Am 4. Februar 1943 kapitulierte die 6. Armee. 1 Millionen Tote am Schlachtfeld, Sowjets und Deutsche, und die Zivilisten nicht zu vergessen. 195.000 Deutschen waren im Kessel von Stalingrad, 60.000 davon starben, 110.000 kamen in und maximal 6.000 kehrten aus der Kriegsgefangenschaft heim. Ein Schlachten war zu Ende, bis zum Ende des Krieges  sollte es noch mehr als drei Jahre und hundertausende Tote dauern. 70 Jahre Stalingrad. Wer nach einer Ausstellung sucht, wird fast vergeblich suchen. Ist es ein gutes oder schlechtes Zeichen, dass dieses Ereignis unbedacht bleibt? Während die Schlacht tobte, wurden im ganzen Deutschen Reich Wegweiser aufgestellt, um zu markieren wie weit es bis Stalingrad ist, um den Kampf als Kampf aller Deutschen gegen den „blindwütigen anrennenden“ Bolschewismus zu stilisieren.
Wo geht’s bitte hier nach Stalingrad. Aus Österreich führt kein Weg und kein Gedenken dorthin. Das Motto lautet militärisch: Schleichen, ducken und tarnen. Bis heute fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Österreichern am „Unternehmen Barbarossa“. Wer aus dieser Feststellung herauslesen will, dass hier eine Tätergeschichte eingefordert wird, der irrt. Auch eine differenzierte Darstellung der „österreichischen“ Beteiligung am Zweiten Weltkrieg dürfte genügen. Doch nichts davon. Kein Mut. Dass heute nicht mehr das Loblied auf den Heldenkampf der 6. Armee angestimmt werden kann, dürfte klar sein.  Militärgeschichte war und ist für viele HistorikerInnen ein Gräuel, ich darf mich da nicht ausnehmen. Der Krieg ist böse und schrecklich und wer über den Krieg schreibt und arbeitet, der versucht zumindest hypothetisch verlorene Schlachten vielleicht doch noch zu gewinnen, so war es viele Jahre und so war der Tenor in vielen Publikationen. Dass es auch anderes geht, zeigen deutsche Historiker Rolf-Dieter Müller, Gerd R. Ueberschär, Wolfram Wette und Jochen Hellbeck um nur einige zu nennen seit Jahren und so findet auch in Dresden die erste Ausstellung zu Schlacht in Stalingrad statt. Eine andere Art der Militärgeschichte ist so  überfällig wie eine Tätergeschichte. Beides ist in Österreich nur in Ansätzen zu finden. Es ist leicht  die Geschichte der Opfer der Shoah zu schreiben und die Wiederholung der hundertsten Geschichte, von Demütigung und Vertreibung bringen selten neue Erkenntnisse. Zuviel Shoah und zu wenig Krieg. Das Missing Link der Shoa liegt aber im Krieg, in den Pripjet Sümpfen zwischen der Heeresgruppe Mitte und Süd. Die Geschichte der Väter und Großväter in Deutscher Uniform ist nicht geschrieben. Nochmals: Nicht die Väter und Großväter sollen zu Tätern gemacht werden, aber ihre Geschichte wurde nicht gehört, sie haben sie auch nicht erzählt außer an Biertischen und zu später Stunde und wenn dann so, dass wir Jungen das nicht hören wollten und konnten. Der Schmerz und die Trauer dieser Generation konnte auch nicht ernstgenommen werden, weil die Shoa verleugnet wurde. Es ist hoch an der Zeit jetzt die gesamte Geschichte zu sehen. Stalingrad ist der liebste Ort der Deutschen und Österreicher, denn dort können die Soldaten der Wehrmacht endlich so richtig Opfer sein. Dies gilt es zu durchbrechen um die gesamte Geschichte zu erzählen, auch das, was auf dem Weg bis Stalingrad alles passiert ist und was dort und später passiert ist und wie darüber geschwiegen wurde. Bis heute. Wir (=Österreich) waren nicht dabei, aber wir sind das einzige kriegführende Land, das seit 1994 in Stalingrad ein Denkmal für seine Soldaten hat. Die Deutschen haben eine Schule und ein Gemeindezentrum gebaut, die Italiener einen Kindergarten. Junge Deutsche pflegen die Gräber der russischen Gefallenen und die russischen Jugendlichen pflegen die Gräber der Deutschen. Wir hingegen haben eine Stahlpyramide in die russische Ebene gestellt. Zum Ducken, Täuschen und Tarnen fehlt noch eines: Eine große Portion Verlogenheit.
Robert Streibel, Jänner 2013


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