Begonnen hat alles mit einem Interview im Jänner 1999, denn da war er plötzlich wieder im Raum. Der afrikanische Prinz, damals war es allerdings noch der „N-Kopf von Klimt“, an den sich Edith Crossmann erinnert, weil er im Schlafzimmer ihrer Mutter hing.
Das wiederentdeckte Bild von Klimt, soll nun von der Galerie Wienerroither & Kohlbacher um 15 Millionen verkauft werden und ist in vieler Munde.
Der Standard, Kurier, Die Presse und der ORF berichteten. Verwunderlich ist, dass die Angaben zu den ursprünglichen Besitzern sehr kursorisch waren.
Edith Crossmann hat mit ihren Eltern in der sogenannten Klimt-Villa in Hietzing gewohnt, zum Zeitpunkt des Interviews ist sie bereits 92 Jahre alt. Im Zuge des Projektes Juden in Hietzing hatte ich begonnen, die Spuren der ermordeten und vertriebenen Jüdinnen und Juden aufzunehmen, denn bis zu diesem Zeitpunkt wollte niemand im Bezirk über dieses Thema sprechen. Ein Langzeitprojekt von mehr als 25 Jahren als Direktor der VHS Hietzing hat in diesem Jahr seinen Anfang genommen.
Mit dem Artikel in der Zeitschrift „Spurensuche“ des Österreichischen Volkshochschularchives im Jahr 2000 wurde zum ersten Mal der Hinweis auf dieses Klimtbild und die ursprünglichen Besitzer gegeben.

Die Fotos sind klein und vergilbt und zum Teil unscharf. Ein Bild sticht aus dem in der ganzen Wohnung zusammengesuchten Packen klar hervor, und die Botschaft dieses Bildes erreicht den Betrachter auch heute noch: hier tanzt das Glück, ein junges Mädchen auf einer Terrasse, vor dem schmiedeeisernen Gitter einer Brüstung, in einem luftigen Sommerkleid, dreht sie sich ausgelassen um ihren Mittelpunkt. Wer dies ist, das sehen wir nicht, es wird ihr Freund, ihr Liebhaber oder ihr Mann sein. So muss Glück aussehen, auch nach Jahrzehnten.
Das junge Mädchen sitzt vor mir in einer geräumigen Dachwohnung in London in der Nähe des Lord Cricket Parks, gleich neben dem Regent Park. Jahrzehnte liegen zwischen der Aufnahme und meinem Besuch, eine Vergangenheit, gut genug für Geschichtsbücher, zum Verdrängen und für Wiedergutmachungsdiskussionen. Edith Crossman residiert heute nur mehr vor ihrem kleinen beweglichen Schreibtisch mit einem akustischen Wecker. Sie ist noch immer eine gutaussehende Frau. Ihre Bilder, die Fotos ihrer Jugend, die wenigen Aufnahmen, auf denen das Haus ihrer Eltern in der Feldmühlgasse 11 in Wien Hietzing zu erkennen, die Inneneinrichtung zu erahnen ist, kann sie nicht mehr sehen. Edith Crossman ist blind.
Felix und Ernestine Klein hatten 1923 den Rohbau des umgebauten Klimt-Ateliers gekauft und die Erweiterung und Aufstockung des Hauses zu Ende geführt. Im Dehio ist von einer stattlichen Heimatstil-Villa die Rede, umgangssprachlich heißt das heute leerstehende Gebäude die „Klimt-Villa“. „Im Parterre war ein Billardzimmer und eine Bibliothek. Mein Vater war ein sehr guter Billardspieler, dann war das Mädchenzimmer und dann die Küche. Unten war die Küche, eines der Stubenmädchen hat oben noch ein Zimmer gehabt, vis -à-vis vom Speiszimmer. Wir hatten eine Köchin und ein Mädchen, einen Heizer und einen Gärtner, der früher im Schloss Schönbrunn gearbeitet hat.

mit Robert Streibel im Jänner 1999.
Im ersten Stock kam man erst in ein Vorzimmer, dann in dieses kleinere Zimmer, wo nur die paar Fauteuils waren und rechts davon war das Speiszimmer und noch ein kleiner Vorraum, wo ein Lift von der Küche heraufgegangen ist. Und dann links war der Salon. Das größte Zimmer, glaube ich, war der Salon. Es war ein schöner Salon. Es war gut eingerichtet, von Josef Hoffmann, an den Wänden einige Bilder. Im Salon hat Gelb und Gold vorgeherrscht und im Speiszimmer Blau. Und an ein großes Möbelstück mit Silberintarsien kann ich mich noch erinnern.“
Dass Edith Crossman nur mehr Licht und Schatten wahrnimmt, merke ich im Gespräch erst nach zwei Stunden. Gesehen hat sie eigentlich schon immer schlecht, und einmal, als sie die Chance mit ihrer Mutter gehabt hätte den Kaiser Franz Josef zu sehen, da hatte sie nur eine Schemengestalt wahrgenommen wegen ihrer Kurzsichtigkeit. Doch das ist eine Geschichte aus einer anderen Zeit. Edith Crossman ist heute 92 Jahre alt und hat Wien bereits 1933 verlassen, ohne Wehmut – bis heute. Mit ihrem Mann, dem Spross aus einer Dynastie von Furnierfabrikanten mit Niederlassungen in Wien und Paris, war sie bereits in den dreißiger Jahren zuerst in die Schweiz und dann nach England ausgewandert.
Die Fotos kennt sie bis ins Detail und nur ein kleiner Hinweis genügt, um sie ins Gedächtnis zurückzuholen, um die Geschichten wieder aufleben zu lassen, die Geschichte von einer Zeit, als die Räume rund um das ehemalige Klimt-Atelier noch bewohnt waren und die Gebrauchsgegenstände, Kunstwerke und Erinnerungsstücke die ihrer Familie gehörten, noch an ihrem Platz standen oder hingen. Die Familie Klein besaß einen Weingroßhandel „Klein & Brandl“, gemeinsam mit dem Bruder Otto Klein, der ein ansehnliches Haus in der Hietzinger Hauptstraße bewohnt hatte.
Alleine die Schilderung der Räumlichkeiten lässt an ein kleines Märchenschloss denken. Der Familie Klein ging es gut, die Eltern aus assimilierten jüdischen Familien waren viel unterwegs, wenn sie die Weinernte in Ungarn oder Bulgarien aufkauften. Edith als Einzelkind wuchs in Lyzeen auf, in Ungarn zu einem Zeitpunkt als gerade die Roten Garden einmarschierten und die roten Teppiche als Fahnenersatz aus dem Internat gehängt werden mussten. Später wechselte sie in das Pensionat Singer im 18. Wiener Gemeindebezirk.

Hier war sie die einzige Wienerin, ihre Freundinnen kamen aus Ungarn, der Tschechoslowakei, Deutschland und Polen, zu ihren Lehrern zählte unter anderem der spätere Schriftsteller Felix Braun. Dann besucht sie ein Pensionat in Lausanne, Fotos zeigen sie in einem Theaterstück als Junge verkleidet mit einer Zigarettenkippe im Mundwinkel oder mit Freundinnen beim Eislaufen.?
Wer vor so langer Zeit aus Wien weggezogen ist, der kann sogar mit einer beispiellosen Emotionslosigkeit über den Verlust des Hauses mit all seinen Wertgegenständen sprechen.
Am 6. Mai 1939 war das Gebäude samt Grundstück von der Österreichischen (!) Realitäten A.G. auf 76.000 Reichsmark beziffert worden. Im Jahr 1948 bekam die Familie Klein das Haus zurück und nur sechs Jahre später erwarb die Republik Österreich die Liegenschaft um 500.000 Schilling. Der heutige Wert liegt bei mehr als 20 Millionen Schilling. Das unsignierte Bild von Gustav Klimt, das im Schlafzimmer ihrer Eltern hing, ein Porträtkopf eines „Negers“ gehört ebenso zu dieser Vergangenheit wie eine Statue des österreichischen Bildhauers Gustinus Ambrosi: eine Badende. In einem Schnappschuss ist ein Stück der Figur sichtbar, mehr ist nicht davon geblieben. „Das Bild von Klimt hing im Schlafzimmer meiner Mutter in der Feldmühlgasse. Die Kleins haben dieses Bild von einem Freund bekommen, Prof. Eigenberger, er war Professor an der Akademie hat das Bild, meinem Stifvater Felix Klein verschafft.“

1897 wurde Prinz William Nii Nortey Dowuona
von Gustav Klimt porträtiert.
Kurz nachdem der Vater diese Figur gekauft hatte, war der Meister zu ihrem 16. Geburtstag auch als Gast in der Villa gewesen. Der Besuch des tauben Künstlers ist Frau Crossman bis heute in Erinnerung geblieben. Was aus diesen Kunstwerken geworden ist, weiß sie nicht, ebenso wenig wie aus dem 36teiligen Meißner Porzellan Service. Das hatte die Mutter gegen ein großes Schiele-Bild eingetauscht, weil das Gemälde der Familie nicht zugesagt hatte. Weinfässer wie Kunstwerke waren 1945 verschwunden. „In der Weinhandlung hatten sie ganz große Fässer, riesig groß, größer wie das Zimmer. Und die waren nach dem Krieg weg.
Da haben die Leute gesagt, na, die Russen haben es weggenommen. Die Leute haben ja alles… es hat sehr viele Diebe gegeben, kann man nur sagen. Und die haben eben alles weggenommen. Und mein Stiefvater war dann zu alt und auch nicht mehr ganz gut bei Gedächtnis und er hat eigentlich gar nichts unternommen, um das zurückzubekommen.“
Mit Schiele verbindet die Familie etwas mehr als dieser kurzfristige Besitz eines Bildes, denn die Mutter von Edith Crossman war mit Schieles Schwester in die Schule gegangen. Da die zeichnerische Begabung von Schiele schon früh bekannt war, habe sie einmal um ein kleines Bild gebeten, eine kleines Veilchensträußchen habe er ihr gemalt, doch auch das ist irgendwann einmal verschwunden. Es gibt Dinge, deren Verlust Edith Crossman doch nicht so gleichgültig lassen. So zum Beispiel das Porträt des Vaters, gemalt von einem bulgarischen Künstler, die einzige Erinnerung an den 1911 mit 28 Jahren an Tuberkulose verstorbenen Vater. Die Mutter und der Stiefvater sind nach dem Krieg wieder nach Wien zurückgekommen, vor der NS-Verfolgung sind sie zuerst kurz nach Ungarn, dann nach Südfrankreich geflohen, das Kriegsende haben sie in Monte Carlo erlebt. Dass in der Nachkriegszeit der Wunsch, den eigenen Besitz zurückzubekommen, nichts half, hat Ediths Vater auch bei einer anderen Gelegenheit erfahren müssen. Bei einem Besuch in einem Wiener Museum, „ich weiß leider nicht mehr in welchem“, entdeckte Felix Klein ein Bild des italienischen Künstlers des 16. Jahrhunderts, Giacomo Bassano, dass er zuletzt im Wohnzimmer des Bruders in der Hietzinger Hauptstraße gesehen hatte. Nachdem er den Direktor des Museums darauf aufmerksam machte, musste er nach Wochen erfahren, dass die Angelegenheit bereits „österreichisch“ gelöst worden war: Das Bild war aus der Sammlung verschwunden, mehr aber auch nicht, von Rückgabe keine Spur.
Kunst spielte im Leben von Edith nicht nur als Wandschmuck eine Rolle. Kein Wunder, denn aus der Familie der Mutter (eine geborene Kreisler, die Eltern betrieben ein koscheres Restaurant in der Kaiserstraße) stammen einige Künstlerpersönlichkeiten. So hat Edith gleich drei prominente Cousins, den Komponisten, Autor und Kabarettisten Georg Kreisler, den in der Filmwelt in Berlin bekannten Otto Kreisler und den Filmregissseur Walter Reisch, der Drehbücher für Willi Forst und in Hollywood für Billy Wilder verfasste. In dieser Atmosphäre hat die Mutter auch viel Wert auf Literatur, Theater und Lyrik gelegt, das Deklamieren hat Edith von ihrer Mutter geerbt. Doch leider, heute wolle in ihrer Familie keiner mehr Gedichte hören. Ich will und bin in der Achtung der älteren Dame sofort gestiegen. Ich höre das Gedicht „Der Lehrer“ von Bert Brecht. Sonst gefallen ihr nicht viele Gedichte von Brecht, aber dieses wollte sie können, vor wenigen Jahren erst hat sie es gelernt während eines Urlaubs. Ich höre einen Vortrag einige Minuten lang ohne Stocken, bühnenreif. „Und er gürtete den Schuh, packte ein, was er so eben brauchte, wenig, doch es wurde dies und das, so die Pfeife, die er immer rauchte, und das Büchlein, das er abends immer las…“
Es ist sicherlich Zufall, doch der Schluss dieses Gedichtes enthält auch die noch heute geltende Verpflichtung an die Historiker unseres Jahrhunderts, den „Weisen“, den Zeitzeugen, ihre Weisheit abzuverlangen. „Aber preisen wir nicht nur den Weisen, dessen Name auf dem Buche prangt, denn man muss dem Weisen seine Weisheit erst entreißen, deshalb sei der Zöllner auch bedankt, er hat sie ihm abverlangt.“
Das sei nur eines der vielen Gedichte die sie auswendig kenne, den Faust 1. Teil könne sie nahezu zur Gänze, beim 2. Teil fehlen ihr einige Passagen, jetzt könne es schon mal vorkommen, dass sie Wörter vergesse, das Gehirn werde altersmüde. Obwohl sie eigentlich nie religiös war, der Vater war Atheist, der Großvater ist nur zu Jom Kippur in den Tempel gegangen, kann sie bis heute den Abschnitt der Tora „Sch’ma“ (Höre Israel), „nur den Anfang, nur einige Zeilen“, meint sie und beginnt Hebräisch zu rezitieren. Understatement heißt dies wohl in ihrer neuen Heimat. Vor Jahrzehnten war diese Gedächtnisleistung dem Religionslehrer zu wenig: „Nichtgenügend setzen“. „Danach bin ich nie wieder in die Religionsstunde gegangen.“

Leider kann sie heute keine neuen Werke mehr auswendig einstudieren, da sie Literatur nur mehr am Tonband hören kann und da gehe es zu schnell, um es zu lernen. Deklamieren für die vier Wände, aber nicht fürs Theater. Wenn schon Theater, dann nur als Zuschauerin, für alles andere sei sie immer zu nervös gewesen. Ihre große Liebe war Raul Aslan, mit dem ihr Stiefvater in die Schule gegangen ist. Einmal habe er sie, mit dem großen Mann des Burgtheaters bekannt gemacht, außer an eine fleischlose weiche Hand können sie sich jedoch an nichts mehr bei dieser Begegnung erinnern. Doch immerhin, Edith Crossman hat auch das Privileg, einmal mit Arthur Schnitzer korrespondiert zu haben. In der Aufführung von Professor Bernhardi war sie über die Formulierung in der Szene, in der das junge Mädchen den Priester sieht, durchaus nicht mit dem Autor und dessen Formulierungsvariante einverstanden, denn so wie das Mädchen spreche, wusste sie ja doch bereits, dass sie sterben müsse, schrieb sie dem Schriftsteller und bekam Post ins Pensionat. Bestimmt und entschieden wies Schnitzler die Kritik zurück. Wo dieser Brief heute wohl ist? „Ich werde ihn sicher nie mehr finden.“
Nach dem Erscheinen des Artikels in der „Presse“ meldete sich hocherfreut Peter Michael Braunwarth von der Akademie der Wissenschaften, der auf den Umstand hinweist, dass Antworten von Schnitzler auf an ihn gerichtete Briefe höchst selten waren. „Im Allgemeinen gebe ich nicht gern Kommentare zu meinen Stücken. Ich finde, sie sollten sich selbst dem Publikum sowohl als dem Schauspieler verständlich zu machen wissen“, schrieb er zum Beispiel an Fräulein Grete Lorma am 24. 11. 1915.
Dass es gerade ein Briefwechsel über das Stück „Professor Bernhardi“ ist, in dem wie in keinem anderen Stück die Varianten des österreischischen Antisemitismus sezziert wurden, verleiht diesem Briefwechsel im Zusammenhang mit der Geschichte der Familie Werner eine besondere Bedeutung.
24. März 1924
Sehr verehrter Herr Schnitzler!
Als aufrichtige Verehrerin und Bewundererin Ihrer Kunst möchte ich mir erlauben, Sie auf einen kleinen Widerspruch in einem Ihrer Stücke aufmerksam zu machen. – Im I. Akt von „Professor Bernhardi“ verweigert der Professor dem Priester den Eintritt zu der Sterbenden mit der Begründung, dass diese sich vollkommen wohl fühlt und überzeugt ist, das Sanatorium in einigen Stunden geheilt zu verlassen.
Als die Schwester ihr gegen das Verbot Bernhardis den Besuch des Priesters ankündigt, ruft sie aus: „Muß ich denn wirklich sterben?“ Dieses wirklich, das im Theater noch besonders betont wird, ist falsch, es steht nicht im Einklang mit den Worten Bernhardis. – Ein Mensch, der wie dieses Mädchen absolut nicht ans das Sterben denkt, wird in der gegebenen Situation höchstens entsetzt sagen: “ Muss ich denn sterben““ – Das wirklich setzt eine gewisse Vorbereitung auf den Tod voraus, wenn eine solche bestünde, hätte Bernhardi kein Recht, ihr die Segnungen der Kirche vorzuenthalten.
Hoffentlich halten Sie mich nicht für ungezogen, weil ich als junges Mädchen Ihnen dies schreibe. Ich würde sehr glücklich sein, wenn Sie mir Ihre Meinung darüber schrieben.
In Verehrung
Edith Werner
Wien XVIII. Gymnasiumstr. 35
„Pensionat Singer“
An: Edith Werner 10.4.1924
Sehr geehrtes Fräulein.
Ihr Bedenken ist ganz klug, aber trotzdem trifft es nicht zu. Die Sterbende ist zwar in
Euphorie verfallen, aber vorher war sie nicht nur krank, sondern sie hat sich auch krank
gefühlt und Todesgedanken gehabt. Die Ankündigung des priesterlichen Besuches weckt sie
eben aus ihrer Euphorie, auch aus der seelischen, die Todesangst ist wieder da, nicht zum ersten Mal und auch ihre früheren Ängste kommen ihr nun neu wieder zu Bewusstsein. Bernhardi enthält ihr also nicht „die Segnungen der Kirche“ vor, die ja gewiss (wie später insbesondere von Professor Cyprian deutlich gesagt wird) von manchen Sterbenden wirklich als Segnungen empfunden werden, sondern er erfüllt seine ärztliche Pflicht indem er seine Patientin davor zu bewahren sucht aus ungestörtem Wohlgefühl unvermittelt in Todesgrauen versetzt zu werden. Ich hoffe, Sie sind beruhigt, mein Fräulein, und ich grüße Sie bestens.
(A.S.)
Das Original des Briefes von Edith Werner (heute Crossman) befindet sich heute ebenfalls inEngland, in der Handschriftensammlung der Universitätsbibliothek Cambridge. Mit Heimito von Doderer stand sie ebenfalls in brieflichem Kontakt. Mit dem Publizisten und Herausgeber von Exilliteratur Kurt Otten war sie befreundet, ihn hat sie auch gemalt. Schieles Zeichnungen von Otten waren ihr nach dem Krieg zum Kauf angeboten worden, leider hat sie damals nicht zugegriffen. Ein bewegtes Leben mit vielen Begegnungen, das doch abseits des Weltenbrandes verlief – die Jahreswende 1937/38 feierte das junge Ehepaar mit Freunden in St. Moritz – liegt hinter Edith Crossman, die ihren Namen in England der neuen Umgebung angepasst hat. Über ihr Leben meint sie, sie habe zu viel geträumt und zu wenig getan, eine harte Bilanz und doch: „Ich bin jetzt so alt und habe so viel erlebt und werde immer sicherer, dass eben niemand perfekt ist. Aber ich glaube, dass im Grund die Menschen jetzt besser werden, die Jugend zumindest. Die Menschen wissen jetzt zumindest, was das Richtige ist, wenn sie es auch nicht tun.“ Für die Zukunft hat sie natürlich noch Pläne, Silvester 2000 wird sie mit ihrer Tochter und Freunden in der Schweiz verbringen, ein Besuch in Wien steht nicht auf dem Programm, aber vielleicht, wenn aus dem verfallenen Haus in der Feldmühlgasse eine Klimt-Gedenkstätte und ein Veranstaltungszentrum wird, würde sie kommen. Wer weiß. Im Klimt-Garten blühen bald wieder die Bäume, wie lange noch? Edith Crossman erinnert sich in London an diesen Anblick, in Hietzing, nur wenige Straßenzüge von der „Villa“ entfernt, ist das Bild des Gartens unauslöschlich im Gedächtnis eines anderen Zeitzeugen fixiert. Dr. Walter Zöhrer hat im Frühjahr 1921 mit seiner Mutter die damaligen Bewohner des ehemaligen Klimt-Ateliers, eine Familie Kohn, die später nach Palästina ausgewandert ist, besucht. „Ich erinnere mich an dieses Datum deshalb so genau, weil ich im Herbst 1921 die erste Klasse Gymnasium in der Fichtnergasse besuchen sollte und mir meine Mutter vorsorglich schon das Lehrbuch für Latein besorgt hatte und ich im Garten den Grundstein zu meinen Lateinkenntnissen gelegt habe. Als wir den Garten betraten und die ersten Schritte zurückgelegt hatten, kamen wir aus dem Staunen nicht heraus. Im vorderen Teil des Gartens, aber auch über das Haus hinausgehend, standen hunderte von Obstbäumen aller Art in vollster Blüte, umschwärmt von ungezählten Bienen und Hummeln, belebt von den Gesängen verschiedenster Singvögel. Wenn ich heute nach so langer Zeit an das damalige Erlebnis zurückdenke, kommt mir immer Shakespeares Sommernachtstraum in den Sinn. Ich glaube, dass es kaum einen Menschen gegeben hat, der nicht, so wie ich, beim Anblick dieses Zaubergartens ins Schwärmen gekommen wäre.“
Aus: Spurensuche. Zeitschrift für Wissenschaftspopularisierung
11.Jg. Heft 1-2/2000. (http://www.vhs.or.at/archiv)