Vorwort zum Buch „Widerstand in Hietzing“ (Edition Volkshochschule)
Robert Streibel
Geschichte dokumentiert nicht nur Vergangenes, zeigt Zusammenhänge auf, sondern hat immer auch die Funktion der Legitimierung für Staaten, regionale Bereiche und soziale Gruppen. Die Akteure der Geschichte ˆ wer auch immer dafür gehalten wird ˆ können in Politikern, Staatsmännern und ihren Beratern, in Herrscherhäusern und ihren Finanziers, seien dies Unternehmer und Militärs, oder aber im viel besungenen kleinen Mann und in der kleinen Frau von der Straße gesehen werden. Der Mensch ist einmal anonyme Masse oder verlangt als Klasse nach seinem Recht, je nach Blickpunkt, je nach politischem Standort. Diese Akteure der Vergangenheit sind so immer auch GestalterInnen der oder KämpferInnen für die Zukunft.
In keinem Bereich der österreichischen Zeitgeschichte wird dies so deutlich wie im Fall des Widerstandes gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus. Der Widerstand hat als österreichischer Beitrag zur Befreiung vom Nationalsozialismus in der Moskauer Deklaration die Grundvoraussetzung für ein freies und unabhängiges Österreich gelegt.
Trotz dieser einmaligen Bedeutung, die den WiderstandskämpferInnen zukam, die ˆ aus welchen persönlichen und politischen Gründen auch immer ˆ ihren Einsatz gegen das NS-System und für welches Österreich auch immer mit dem Leben bezahlen mussten, spielte die Erinnerung an sie im befreiten Österreich 1945 eine untergeordnete Rolle, musste diese Erinnerung in den Nachkriegsjahren erst mühsam erkämpft werden.
Nicht nur in der Erinnerung sondern auch im politischen Leben spielten die überlebenden AkteurInnen des Widerstandes eine unbedeutende Rolle. Doch nicht nur das, die Akzeptanz des Widerstandes war abseits von Sonntagsreden und historischen Lippenbekenntnissen nie eine ungeteilte. Für die ≥ehemaligen„ ParteigängerInnen der NSDAP blieben die WiderstandskämpferInnen VerräterInnen, für die Menschen, bei denen die historische Einsicht eingesetzt hatte, waren die WiderstandskämpferInnen eine lebende Mahnung des schlechten Gewissens. In einem Land mit 700.000 eingeschriebenen Parteimitgliedern, die auch wieder ins politische Leben integriert werden mussten, keine gute Basis für eine gerechte Beurteilung. Durch den Kalten Krieg ab dem Jahr 1948 wurde mit Abstufungen bis heute der Beitrag der wichtigsten politischen Gruppe im Widerstand, der Kommunisten, desavouiert und ihnen der demokratische Impuls abgesprochen, nicht viel anders erging es den Legitimisten, deren Einsatz gegen den Nationalsozialismus mit einem Bekenntnis zur Monarchie einherging.
In der Bewertung der österreichischen Geschichte blieb das befreite Österreich geteilt: Viele Spielarten und Sichtweisen hatten Platz unter dem Signet des demokratischen Österreich nach 1945. Geschichte wurde nicht in einem Leben gelebt, sondern parallel in vielen Lebenswelten. Dass in der Moskauer Deklaration, in der der österreichische Beitrag zur Befreiung eine zentrale Rolle spielte, auch Österreich als das erste Opfer des Nationalsozialismus definiert wurde, hat dazu geführt, dass im Zuge einer Neubewertung der Rolle der ÖsterreicherInnen, die eben zwischen 1938 und 1945 nicht nur Opfer, sondern auch Täter waren, der österreichische Widerstand abermals kritisiert wurde. Nicht wenige, die mit dem Nur-Opfer-Diktum als Lebenslüge des Nachkriegsösterreich aufräumen wollten, gingen so weit, den Widerstandskampf als Feigenblatt zu verunglimpfen, der den Blick auf die gesamte Tragweite der Beteiligung von ÖsterreicherInnen als MörderInnen, HandlangerInnen, MitläuferInnen und DenunziantInnen beschönigen sollte.
Keine gute Basis für Gerechtigkeit. Exemplarisch für den Wiener Gemeindebezirk Hietzing dokumentiert Michael Kraßnitzer diese gesamte Palette des Widerstandes und versucht, den WiderstandskämpferInnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, nicht indem er sie auf einen sakrosankten Sockel stellt, sondern auch indem er an manchen Denkmälern kratzt, um so eine tragfähige Basis gegen das Vergessen zu schaffen und allen WiderstandskämpferInnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.