Eine Rose gegen den Aasgeruch von Millionen
Rosenkavalier Inszenierung bei den Festspielen in Salzburg als Ende der Illusionen. August 2004
Robert Streibel
Es gibt kein richtiges Leben im falschen und vor allem keine Liebe. Das ist der Schlussakkord der neuen Rosenkavalier Inszenierung durch Robert Carsen, die am 6. August ihre Premiere erlebte. Wenn sich nach viereinhalb Stunden die Kulissen heben und der Schlachtendunst sich verzieht, ist das rote Bett auf dem Ocatvian und Sophie liegen und ≥Dich hab ich lieb„ singen, keine Insel im Getümmel der Welt, sondern wie ein hingespuckter Zynismus. Ein Bordellbett als Ehestatt ist kein sanftes Ruhekissen, doch Carsen hat mehr im Sinn, denn sein Angriff gilt einem anderen, dem Ochs von Lerchenau. Aus dem in den klassischen Inszenierungen derb dümmlichen Macho adeliger Herkunft ist ein böser, berechnender Mensch mit einer schrecklichen Perspektive geworden und so säumen das Schlussbild auch Soldaten oder besser künftige Tote.
Der Rosenkavalier wurde 1911 uraufgeführt. Der Erste Weltkrieg ist zum Greifen nahe. Von einer verklärten Fin de Siecle Stimmung ist nichts geblieben und die Verfremdung in die Zeit Maria Theresias ist Vergangenheit. Keine Reifröcke und Perücken in der Felsenreitschule in Salzburg, sondern Schnitzlersche Endzeittypen. Ein bestechender Ansatz, ein Etappensieg im zweiten Akt, für den die große Bühne gerade reicht. Wer den sphärischen Walzer zu dem der Ochs mit seiner durch den Rosenkavalier geworbenen Braut tanzt unter der Leitung von Semyon Bychkov gehört hat, wird nie wieder in der Idylle eine Heimat finden. Eine so schöne Musik für so einen alten Trottel, das mußte man vielleicht schon immer denken und konnte es gleich wieder vergessen. Bei Carsen gibt es kein Vergessen, eine kleine Geste beim beginnenden Walzer genügt, wenn der Ochs Sophie auf den Hintern greift, dann ist klar, hier stellt ein Mann nicht nur Ansprüche auf diese Frau, seine Besitzdenken endet nicht bei der Sexualität, sondern muss geradezu in chauvinistischen Vorurteilen und Denunziationen ausfließen, ≥wer so enflammiert„.
Alles ist auch im Text zu finden bei Hofmannsthal, wenn vom wällischen Filou die Rede ist. Bei Carsen robben Soldaten im Takt über die Bühne und das alles vor einer langen Tafel, vor einem Schlachtengemälde. Was kommt ist klar und mehr noch, die Herren von Lerchenau werden ihre Männer in den Krieg schicken und vielleicht selbst dabei umkommen, fast ist es ihnen zu wünschen.
Tod keine Perspektive
Doch der Tod ist keine Perspektive, bei Wagners Tristan für die Liebenden vielleicht, in diesem Fall sicherlich nicht, denn das Leben geht weiter. Während mit dem Walzer des Rosenkavalier ein Beispiel für Zynismus vorgeführt wurde, werden andere Herren später, gar nicht so viel später andere Klassiker aus den Lautsprechern auf KZ Häftlinge donnern lassen, um nach dem Morden Mozart zu hören. Das war das Leben. Für diese Lesart des Ochs wirft sich Carsen in die Schlacht und dafür setzt er viel aufs Spiel, er ist wie ein besessener Feldherr fast bereit die gesamte Mannschaft zu opfern.
Beim Rosenkavalier auf der Oper gibt es keine Tote, aber ein Terzett im luftleeren Raum und der ist weit, denn die Zimmerfluchten sind gigantisch und beeindruckend und im Bordell wird auf beiden Flügeln simultan gefickt. Die Personenführung von Octavian, Marschallin und Sophie ist sicherlich der Schwachpunkt. Allein und verloren sein ist in großen Räumen leichter darzustellen als im kleinen Kämmerlein, meint man. Das kindliche Staunen über die überdimensionale Bühne ist groß, fast nicht zu überblicken, doch nach dem Trubel des 1. Aktes und nach der Bloßstellung des Ochs, der sich geschlagen gibt, braucht es seine Zeit bis Angelika Kirchschlager als Ocatvian, Miah Persson als Sophie und Adrianne Pieczonka als Feldmarschallin den Raum mit ihrer Persönlichkeit füllen können und es nur schwer schaffen, sie arbeiten daran und werden noch Räume erobern, doch die Grenzen sind klar und über einige werden sie nicht hinwegkommen, denn die Grenzen hat Carsen klar gezogen, er kennt kein Augenzwinkern, mit dem Hofmannsthal und Strauß das Publikum noch versöhnt haben. So liefert der kleine Mohr á la Carsen, der am Schluss auf die Bühne trippelt um das Taschentuch aufzuheben, keinen versöhnlichen Abschluss weder szenisch noch musikalisch. So ist es einmal gewesen und wird es nie wieder sein, denn in Salzburg ist der Mohr groß geworden und betrunken und übt sich in Scheingefechten mit seinem Gewehr.
Keine Illusionen
Es gibt kein richtiges Leben im falschen, hat Adorno geschrieben und es gibt keine Illusionen mehr. Brutal wird das bei dieser Inszenierung vor Augen geführt. Das stimmt traurig, so ist das Leben und so ist auch die Kunst, so muss es wohl sein nach allem was passiert ist. Und dann kommen wir heim und greifen auf historische Aufnahmen zurück und hören die sphärischen Klänge und versuchen zu vergessen was wir gesehen haben. Sich zu wünschen, es nicht gesehen zu haben, wäre jedoch der falsche Schluss. Sehen und denken auch wenn es weh tut, denn es gibt keine endgültigen Antworten und Inszenierungen.
Ob sich das Glück wieder einstellt, bleibt zu bezweifeln. Für Friedrich Nietzsche ist das Vergessen eine Voraussetzung. ≥Bei dem kleinsten aber und dem größten Glücke ist es immer eins, wodurch Glück zum Glück wird: das Vergessen können oder, gelehrter ausgedrückt, das Vermögen, während seiner Dauer unhistorisch zu empfinden. Wer sich nicht auf der Schwelle des Augenblicks, alle Vergangenheiten vergessend niederlassen kann(…) der wird nie wissen, was Glück ist und noch schlimmer: er wird nie etwas tun, was andere glücklich macht (…) Zu allem Handeln gehört Vergessen.“
Nur ein Etappensieg
Carsen macht es dem Publikum scheinbar leicht, denn er bietet viel für den Augenblick, neben den Soldaten laufen Hunde über die Bühne, Octavian kommt auf einem Schimmel, doch all dies wird auch zu einem tragischen Ablenkungsmanöver: Rosenkavalier Cinemaskop 1. Reihe, wo soll ich hinschauen, was übersehe ich. Überhört wird die Musik, droht überhört zu werden.
Byschkov setzt am Pult jene Akzente wie es die Linie der Inszenierung verlangt und nach jedem Akt ist die Trauer größer, dass man vergessen hat auf den Dirigenten zu achten, in der Overtüre ist es noch möglich und es ist ein Erlebnis. Strauss hat zwar einen Besucher beruhigt, der nach der Oper gemeint hat, er habe vollkommen vergessen in der Oper gewesen zu sein und vollkommen vergessen, dass er Musik hörte.
So wollte es Strauss haben, so passiert es und doch gibt es ein Bedauern, vielleicht weil in der Inszenierung die stillen einsamen Momente nur schwer zum Blühen kommen, diese Rose duftet noch nicht. Kann der Duft einer Rose aber den Aasgeruch von Millionen überdecken? Bei Hofmannsthal und Strauss schien dies noch möglich, sie haben Illusionen mit Augenzwinkern geboten. Bei Carsen hat die Kunst so zu sein wie das Leben. Doch der Regisseur feiert nur einen Etappensieg, denn ein ganzes Stück gegen den Strich zu bürsten geht doch nicht. Denn der Ochs des 2. Aktes ist im Bordell im 3. Akt reichlich verloren und verzagt und dass dieser Mann durch die Katharsis, der des Lächerlichmachens einen Rückzieher macht und den Liebenden das Feld überläßt, ist doch unglaubwürdig.
Und die Liebe?
Und die Liebe? Wer mit dem Pferd kommt, gibt zwar einen imposanten Anblick ab: So träumen sich das kleine Mädchen oder Hollywood-Regisseure das Glück. Dass dies real werden kann, das muss gespielt werden. Spielfreude ist bei den Akteuren nicht zu vermissen, Angelika Kirschschlager gewinnt in allen Rollen dieses Abends die Herzen der Zuseher, verliert in manchen Passagen nur gegen das Orchester, Hawlata formt den Ochs zu einem Charakter, der einem auch in die Träume verfolgen wird, die Marschalin ist ein Zwischenwesen zwischen Mutter und Geliebter, die Wehmut der alternden Frau haben andere vor ihr lebendiger werden lassen, etwas blaß bleibt Sophie, dieser Schönheit fehlt vielleicht noch eine Note Persönlichkeit. Versiert in seiner Hilflosigkeit als Herr von Fanial Franz Grundheber. Dass der Sänger, mit dem sich Strauss über die italienische Oper lustig gemacht hat, gefeiert wurde, ist eine Ironie des Abends und gleichzeitig versöhnlich. Ein Stück und ein Libretto sind nicht unterzukriegen und manchmal beklatscht das Publikum sein eigenes Mißverständnis.
Dr. Robert Streibel, Meidlinger Hauptstraße 65/2/3, 1120 Wien; r.streibel@utanet.at
Categorised as: Artikel