Zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus am Beispiel der Erinnerungen von sechs ZeitzeugInnen im Rahmen des Zeitzeugengesprächs „Kristallnacht ˆ Zeitzeugen berichten‰ am 11. November 2001 im Wiener Volkstheater
Robert Streibel
Der Nationalsozialismus war eine verbrecherische Ideologie, die sich der Unterstützung eines nicht unbeträchtlichen Teils der Bevölkerung sicher sein konnte und versicherte, ohne diesen Rückhalt wäre weder die kriegerische Außenpolitik noch die mörderische Innenpolitik, die in der Ausgrenzung, Denunziation und Selektion von Juden gipfelte möglich gewesen.
Diese Mehrheit der Volksgemeinschaft war eine Stärke in den Jahren 1938 bis 1945 und eine Entschuldigung in den Jahren danach, da ja auch viele andere den angeblichen Verführungen, den Versprechungen oder den blauen Augen des Führers vertraut hatten. Das Regime bestimmte die Gegner, die ideologisch oder rassisch nicht den Vorstellungen entsprachen. Die Sozialdemokratie und die Kommunisten mit all ihren Splittergruppen, Teile des Klerus, Vertreter christlicher Parteien, Monarchisten, Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, um nur einige zu nennen, waren so definiert und der Verfolgung preisgegeben. Die Gegner leisteten Widerstand, vor der Wahl Hitlers zum Reichskanzler in Deutschland, vor dem sogenannten ≥Anschluß„ der ≥Ostmark„.
Zu dieser Automatik der reflexhaften ideologischen Gegnerschaft kam die nicht bloß durch die bloße Zugehörigkeit zu Parteien und Gliederungen der als Gegner eingestuften Organisationen, sondern auch Personen, die durch ihre Handlungen und Aktionen auf einen Sturz, beziehungsweise eine Beseitigung des Regimes hinarbeiteten. Diese Aktionen, dieser Widerstand war ein aussichtsloses Unterfangen. Im Kampf um die Hirne und die Gefühle der Menschen, stand ein ausgeklügeltes System der Massenbeeinflussung fast hilflosen Versuchen mit Streuzetteln, Schmieraktionen gegenüber.
Eine zentrale Frage in der Auseinandersetzung mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus liegt in der Bestimmung des Aktionsfeldes der handelnden Akteure, wie mußte die Nichtübereinstimmung mit dem Regime zum Ausdruck gebracht werden, um dies bereits als Widerstand zu orten. Sowohl eine zu enge Definition als auch eine zu weite Definition des Widerstandes bergen Gefahren in sich. Welche Gefahr? Nicht der gesamten Palette der Reaktionen auf das Regime gerechtzuwerden. Nur wenn der Nationalsozialismus, seine Politik und seine Methoden vor Augen geführt werden, definiert werden und sind, kann eine Entscheidung getroffen werden, welcher Defintion des Widerstandes entsprochen und gefolgt werden soll.
Die Problematik liegt bereits in der Definition des Wortes. Widerstand in der Definition des Wortes eine breite Palette zuläßt, wenn damit das ≥Widerstehen, das Sichwidersetzen, das Sichentgegenstellen, Gegenwehr, Abwehr und Kraft, die einer Bewegung entgegenwirkt„ gemeint sind und angeführt werden. Diese etymologische Definition bringt keine Klarheit und kann keine Klarheit bringen, da damit das Beharrren auf eigenen Meinung ebenso inkludiert sind wie die bewußte Aktion.
Das Lexikon des deutschen Widerstandes legt seinen Recherchen einen weiten Widerstandsbegriff zugrunde, ≥der jede Form der Verweigerung und Opposition, von stiller Obstruktion bis zum versuchten Tyrannen-Mord einschließen muß„ Einen ähnlich breiten Widerstandsbegriff vertritt auch das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das sehr früh die verschiedenen Formen nicht organisierten Widerstandes und Oppositionsverhaltens archiviert hat. Die Basis für diesen Widerstandsbegriff lieferte Karl R. Stadler, der klarstellte, dass angesichts des totalen Gehorsamkeitsanspruches des Machthabers ≥jegliche Opposition im Dritten Reich als Widerstandshandlung gewertet werden (muss) auch wenn es sich nur um einen vereinzelten Versuch handelt, anständig zu bleiben.„
Den Gegenpol zu diesem breiten Widerstandsbegriff stellt Radomir Luza dar, der klar unterschieden wissen will zwischen Widerstand und Opposition. ≥Als Widerstand ist also jede politisch bewußte, vornehmlich konspirative organisierte Aktivität zu verstehen, die von den nationalsozialistischen und faschistischen Regierungen als feindlich empfunden und für illegal erklärt wurde„ , um polemisch zu erklären, ≥ein Widerstandskämpfer ist nicht ein Betrunkener, der eingesperrt wird, weil er den Führer beleidigt hat„.
Folgt man dem Diktum von Luza, so kann bei einem oberflächlichen Vergleich zwischen Deutschland und Österreich Gemeinsamkeiten und Differenzen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus festgestellt werden. Die Gemeinsamkeiten betreffen die Tatsache, dass der Widerstand im wesentlichen von zwei Gruppen getragen wurde, von der organisierten Arbeiterbewegung und dem katholisch-bürgerlichen Lager. Beim Widerstand der Arbeiterbewegung ist in Deutschland wie in der ≥Ostmark„ ein Vorherrschen des kommunistischen Widerstandes zu verzeichnen. In der ≥Ostmark„ betreffen von rund 2000 Verfahren vor dem Oberlandesgericht Wien 80 Prozent KommunistInnen. Die Sozialisten waren durch das ≥Februar-Fiasko zutiefst getroffen„ und ein Großteil der Unzufriedenen und Aktiven sah eine Zukunft in der Kommunistischen Partei, die seit dem Frühling 1937 als Alfred Klahr im theoretischen Organ ≥Weg und Ziel„ die Thesen einer österreichischen Nation formuliert hatte, eine patriotische Kraft. Was im Februar 1937 noch in der Möglichkeitsform geschrieben wurde, war wenige Monate später Realität, wenn er feststellt, dass eine allfällige Erorberung Österreichs durch Hitler ≥das österreichische Volk ausliefern nicht nur dem brutalsten politischen System, das die Geschichte kennt, ausliefern (würde), sondern auch seine nationale Unterdrückung durch den deutschen Faschismus bedeuten würde.„
Die Revolutionären Sozialisten stellten in der ≥Ostmark„ nach dem März 1938 die Aktivitäten auf drei Monate völlig ein, in der Folge zerfiel der sozialistische Widerstand ≥in einzelne, voneinander isolierte Gruppen„ und die Kontakte viele oppositionellen Sozialdemokraten ≥auf den engsten Kreis„ beschränkt war und von einem Verzicht auf nach außen gerichtete Tätigkeit geprägt war.
Ein Teil der Handlungsalternativen für die Sozialdemokratie in Deutschland gilt auch für die ≥Ostmark„. Hartmut Mehringer untescheidet drei Gruppen, jene die resiginierten und sich aus der aktiven Politik zurückzogen, die hauptamtlichen Partei- Gewerkschafts und Genossenschaftsfunktionäre, die ein lockeres Kontaktnetz aufrechterhielen. Zur dritten Gruppe gehörten die sozialistischen Illegalen, die für Deutschland vorwiegend aus den sozialistischen Jugendorganisationen stammten. Als vierte Gruppe könnte noch die emigrierten Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre gelten.
Die Kommunistische Partei gab auch in der ≥Ostmark„ ohne Rücksicht auf Verluste die Parole des aktiven Widerstandes aus, die Versuche den Widerstand zu zentralisieren scheiterten allesamt und die aus dem Ausland in die ≥Ostmark„ geschmuggelten Emissäre flogen auf oder worden durch V-Männer verraten.
Auch in Deutschland war Aktivität ein oberstes Prinzip der Kommunistischen Partei, wobei durch Fehleinschätzungen über die Dauer des Regimes die Parteibasis ≥einen äußerst schmerzhaften, opferreichen Lernprozeß„ durchmachen mußte. Dieser Prozeß giepfelte in der Einschätzung, dass ≥ein Menschenleben als gut verbracht gegolten (habe) wenn es in drei Monaten einigermaßen erfolgreicher illegaler Arbeit gipfelte und nur zu oft auch abschloß.„
Der Kommunistische Widerstand bestand immer wieder durch Verhaftungen behindert bis zum Jahr 1944. ≥Die Massenverhaftungen im Sommer 1944 markierten das Ende der kommunistischen Anstrengungen, das Hitler-Regime von innen zu beseitigen. Sie brachen zugleich die Arbeiterbewegung um einige ihrer besten Vertreter, die kompromißlos und mutig, auch unter schwersten Bedingungen, niemals aufgegeben hatten, ein Verbrecherregime zu bekämpfen.„
Die Unterschiede wurzeln in der politischen Realität, da es in Österreich bereits seit 1934 eine faschistische Diktatur gab und zum Zeitpunkt des März 1938 die politische Linke bereits auf Erfahrungen aus vier Jahre Untergrundaktivität zurückgreifen konnte. Bereits in der Zeit zwischen 1934 und 1938 wurde die KPÖ zu der dominierenden Kraft der Arbeiterbewegung, eine Tendenz, die sich auch in der Illegalität fortsetzte. Der sogenannte ≥Anschluß„ war jedoch mehr als bloß der Übergang von einem faschistischen Herrschaftssystem zu einem, sondern bedeutete nicht nur die ≥ideologisch-propagandistische Durchdringung der Gesellschaft„ eine neue terroristische Qualität, sondern auch in der ≥Intensität der Repression politischer Gegner„.
Ein weiterer Unterschied liegt auch in der Bedeutung linker Zwischengruppen in Deutschland, die eine weit bedeutendere Rolle gespielt ahben als es ihrem tatsächlichen nummerischen Anteil an der Arbeiterbewegung entsprach, zu nennen wären da die Sozialistsiche Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD), der Internationale Sozilaistsiche Kampfbund (ISK) sowie die Leninistische Organisation ≥Neu-Beginnen„, die von einer realistsichen Einschätzung des NS-Systems profitierten, dass der Kampf gegen den Faschismus keine Sache des kurzen Atems und kurzschlüssiger Massenagitation sei, sondern langfristige Perspektiven erfordere.
Im Zeitzeugengespräch waren mit Alfred Ströer und Franz Danimann zwei Repräsentanten jener Jugendlichen vertreten, die sich nach dem sogenannten ≥Anschluß„ der illegalen KPÖ anschlossen, um Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu üben. Wobei vor allem das auch in der Anklageschrift abgedruckte Flugblatt den politischen Schwerpunkt auf ein Volksfront legte. Mit Wolfgang Szebansky kam ein Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung, der vor den Wahlen 1933 noch KPD-Losungen an Häuser pinselte. Mit Peter Gingold, dessen Eltern 1912 von Polen nach Frankfurt gezeogen waren, ausgewiesen wurden und erst 1929 wieder zurückkehren konnten, blieben nur vier Jahre in Deutschland. Als die Slogans ≥Deutsche kauft nicht bei Juden„ plakatiert und durch Posten vor den Geschäften in die Tat umgesetzt wurde, flohen die Eltern mit den sechs Kindern nach Frankreich. Zuerst engagierte er sich in der ≥Freien Deutschen Jugend„ und wurde später zu einem Beauftragten der Widerstandsbewegung ≥Travail Allemand (TA) in Dijon. Peter Gingold repärsentiert wie auch Mirjam Ohringer aus den Niederlanden den oft vergessenen Widerstand der Juden, die sich nicht wie Juden auf die Schlachtbank führen ließen. So gab es neben dem Afstand im Warschauer Ghetto im April und Mai 1943, Aufstände in den Lagern Sobibor, Treblinka und Auschwitz-Birkenau, die von jüdischen Mitgliedern des Sonderkommandos organisiert worden waren. Während in Frankreich der jüdische Widerstand bereits 1942 feste Formen mit der Gründung der ≥Armée Juive„ angenommen hatte, war die Jewish Brigade Group in der Britischen Armee die erste jüdische Einheit, die am Kampf unter jüdischer Flagge teilnahm, insobesondere an den frühen Phasen der abschließenden Alliierten-Offensive in Italien im April 1945.
Mit Hugo Pepper kam ein Vertreter einer auf den ersten Blick nicht parteigebunden, individuellen Widerstandsgruppe zu Wort, der im Rahmen des Heeres mithalf, nach dem Nürnberger Rassegesetz als halbjüdisch eingestufte Soldaten zu schützen und ihnen so das Leben rettete, gleichzeitig auch Bekanntschaft mit einer versteckten Unterstützung des Widerstandes oder der Opposition von Seiten von Vorgesetzen im Heer erleben konnte.