Robert Streibel

Erinnerungen an ein Interview mit Brigitte Steinitz

17.1.2003

Es war ein besonderer Tag, der Schnee schon geschmolzen, nur mehr der Dreck der Straße hat ihn zusammengehalten, die Wohnung war aufgeräumt, wie im Sommer, im Sommer war ich das letzte Mal da, bin im Garten vor dem Haus gesessen, einen kleinen Braunen getrunken, telefoniert, das dünne Band, einen Topfenstrudel gegessen und war unsicher, wer mich erwarten würde. Die Tochter vom Dr. Steinitz, der Name eine Legende.

Ich weiß wer mich erwartet, alles wie vor einem halben Jahr, die Druckstöcke stehen als würden Sie noch gebraucht, nicht mehr arbeiten zu können, nicht einfach, die Wohnung: alles liegt auf seinem Platz, dass hier auch gewohnt wird. Der Kaffee ist frisch, die Topfenstrudel muss ich aufessen. Das Interview ist nicht geplant, habe Schwierigkeiten mit dem Mikro, gottseidank probiere ich aus, seit ich das alte Interviewgerät nicht mehr habe, keines war so gut die das, aber das eingebaute Mikro funktioniert. Patschert sind meine Fragen, aber irgendwie paßt, 1934 mit 15 Jahren ist sie zu den Kommunisten gewechselt, die halben Roten Falken haben diesen Schritt getan, auch die beiden Geschwister waren bei den Kommunisten. Der Vater wurde ein Mal gefragt, das geht doch nicht, dass deine Kinder bei den Kommunisten. Zumindest haben sie Charakter. Auf diese Aussage bin ich heute noch stolz, meint sie und lacht. Sie habe Parolen geschmiert wurde mit 15 verhaftet ist auf dem Hietzinger Kommissariat gesessen dort hat sie kehren gelernt mit dem Besen, dann in der Rossauer Lände. Aus der Schule ist sie geflogen, beim zweiten Mal verhaftet haben die Eltern als Entschuldigung geschrieben: krank.

Das 2. Mal verhaftet mit 17, der Freunde wollte zu einer Versammlung, sie hatte schon Arbeitsverbot von der KP zu bekannt, eben, ist doch mitgegangen, hat geläutet bei der Tür vom Nirscher und die Polizei hat schon aufgemacht. Gesessen ist sie mit zwei Huren, dann mit einer Mörderin, dann endlich alleine. In die Schweiz geflohen 1938 mit einem kleinen Koffer, bisschen Wäsche, Fotoalbum, die Fotos von der Weltausstellung in Paris und dem Pavillon der SU hat der Schweizer Freund herausgenommen, jetzt sind sie wieder drinnen im Album, das sich aufzulösen beginnt und am weißen Tischtuch liegt, schwarze Streifen liegen plötzlich zwischen dem Topfenstrudel.

Dann nach Frankreich, ein Foto von Chatres, wo ich so gerne hinmöchte und dann zwei Aufnahmen von Wolken, das hat der Vater immer so gerne fotografiert in Belgien hat sie den Freund getroffen, ein Spanienkämpfer, der ist nach Bergen-Belsen gekommen, hat bis einen Monat vor Kriegsende gelebt der Josef Sieder, dann nichts mehr.

Dass er nicht to war, war für sie klar, er hat überlebt, sie hat nachgeforscht nach dem Krieg, sie weiß wann er gestorben ist, aber gemeldet hat er sich nicht, nicht bei ihr, nicht bei der Partei und nicht bei den Spanienkämpfern, daher glaubt ihr das auch niemand, das darf ich auch nicht verwenden, das will ich nicht, Aber ein Foto hat sie noch, wo anders, das habe ich herausgenommen, er hat mich geärgert, ich such es für sie. Glaube sie ich gebe das Foto weg?

Und dann die Frage nach der Freizeit im Exil, was tut ein 20jähriges Mädchen allein in London. Die Einsamkeit war am schlimmsten, der Vater im KZ, die Geschwister weit weg, ich war eine Großfamilie gewöhnt, ich habe geheiratet. Den falschen Mann, die Trennung war ein Segen. Offen, ganz klar, und sie lächelt, nicht verschmitzt, und raucht und steht am Tisch und ich muss den zweiten Topfenstrudel auch noch essen, den lauwarmen Kaffee auch noch und fast ein Sandwich. Die Geschichte vom Josef Sieder will ich nochmals hören, genauer. Das Fotoalbum, ist toll, sie gibt es mir einfach mit. Ich kann es eh nicht mitnehmen.

Ein Glücksfall, so ein Gespräch und am Abend alles erzählen und es ist nicht nötig ein Buch zu schreiben, im Kopf haben die Geschichte und sie spinnen und überlegen und die Heizung im Museum ist heiß am Rücken und die Zigarre im Mund, und der Rauch ist weg und eine Stunde vorher eine Kerze gelöscht, und dann innehalten wollen wie der Rauch in der Mitte steht, kurz, immer anders diese Schlieren, nein das ist was anders und das Licht, dann plötzlich stehen bleiben wollen, wie mit Menschen, Fragen stellen und sie nicht stellen sich sehen und es zu verschieben und sich doch nicht fremd werden…

Und dann da war noch die Geschichte mit dem Archiv, den Fotos die durchgesehen werden sollen, der Anruf von Ludwig bei Stifter. Wenn wir schon so mit den Fotos umgehen, einschreddern die nicht so schönen Bilder, wer kennt schon alle Mitarbeiter und die hässlichen Fotos von den Räumen. Wir heben nur auf was schön ist.

Schrecklich, und das Schlimmste ist, dass die Dummheit gar nicht auffällt. Ein Schlüsselroman über die Volksbildung, das wäre was. Mit dieser Szene müßte sie beginnen.

Servus, du da ist ein Fehler passiert ihr habt die schlechten Fotos bekommen, schick mir die Fotos zurück, wir suchen die schönen raus und die anderen vernichten wir, wir haben einen guten Schredder….


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