Robert Streibel

Mit Tina zwischen Lissabon und Pisa

Wir brauchen nach der Freiheit der Kunst auch eine Freiheit der Bildung

Robert Streibel Kommentar für "Die Presse" 19.12.2006

Mit Tina zwischen Lissabon und Pisa. Das ist kein Roadmovie von Wim Wenders, sondern Bildungspolitik seit mehr als sechs Jahren. Tina ist keine Studentin, sondern der böse Geist, der erstmals von Margret Thatcher aus der Flasche gelassen wurde. Und Tina ist die Abkürzung von ≥There is no alternative‰. Alles ist so wie es ist, wir denken in Käfigen. Ein Leben und Handeln in anderen Kategorien ist gar nicht mehr möglich. Das – Denken nämlich – können vielleicht Außerirdische oder ganz wenige Philosophen und kritische Geister. Die Existenz von ersteren ist nicht bewiesen und was die anderen beiden betrifft gibt es derer zu wenige. (Danke Luise Gubitzer, Professorin am Institut der Volkswirtschaftstheorie, Uni Wien: Stichwort Ökonomisierung der Bildung und Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung)

Es ist kein Trost, wenn auch schon Michel de Montaigne am Ende des 16. Jahrhunderts gemeint hat. ≥Unsere Seele bewegt sich nur noch nach der Vorgabe dessen, was die Hirne anderer ausgeheckt haben, Gefangene und Sklavin von deren Lehrautorität. Man hat uns so eng ans Gängelband genommen, dass wir keinen Schritt mehr allein tun können. Unsere Kraft und Freiheit sind erloschen. Niemals werden wir mündig sein.„

Bildung ist zur Ware geworden und das ist nun die wahre Bildung. Unwidersprochen sind die Anforderungen. Dankbar dürfen wir sein, wenn dies klar ausgesprochen wird: ≥Bildung soll die Produktivität der Arbeitskraft erhöhen und zum Erwerb von Qualifikationen führen, die am Arbeitsmarkt durch Einkommen entgolten werden.„ (Hans-Peter Klös Institut der Deutschen Wirtschaft.)

In Lissabon wurde die nach dieser Stadt benannte Strategie der EU entwickelt und das Ziel ist es, dass Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt wird. Das klingt gut, das war 1999. Absichten werden nicht mehr ohne Agenda formuliert und so wird Bildungspolitik zur vorsorgenden Wirtschaftspolitik. Alles und alle sollen funktionieren und natürlich dafür bezahlen. Bildung ist nicht mehr ein Menschrecht, sondern eine Frage von Konsumenten. Verwertbar, messbar, evaluierbar. Das heißt nun angekommen in Pisa. Alles folgt einem Plan. Der Mensch ist nur mehr Arbeitskraft. Werte und Tugenden sind Nebensache.

Der Publizist und Pädagoge Hartmut von Hentig hat in seinem Essay ≥Bildung„ gegen jene polemisiert, die das eine beanspruchen (Werte, Kultur, Verantwortung) und das andere betreiben (die Bedienung der Wirtschaft). In der Zwischenzeit sind die Hüllen gefallen. Wir wollen alle nur mehr das eine und das soll rentabel sein, das heißt es muss etwas kosten. Wir werden den StudentInnen noch beibringen, dass sie für Bildung einen Kredit aufnehmen müssen. Für Handys, Autos und Reisen ist das schon geglückt, hat Dieter Dohmen vom Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie in Deutschland kürzlich gemeint.

Von der Freiheit der Kunst ist die Rede. Die Freiheit der Bildung ist längst Illusion und den Rest wird Tina auch noch erledigen.

Robert Streibel, Historiker, Publizist, Direktor der Volkshochschule Hietzing


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