Robert Streibel

Aufrechter Gang auch in Österreich

Der BSA dokumentiert seine eigene Geschichte ein unbeachtetes historisches Ereignis, ein mutiger Schritt

Robert Streibel für „Arbeit & Wirtschaft“

Realpolitik ist der Verlust aller Ideale und die Wahrheit braucht ihre Zeit und wird nicht immer jubelnd empfangen. Bevor noch das sogenannte Gedankenjahr seinen kurzen jubelnden Schatten voraus werfen konnte, ereignete sich etwas, dass sicherlich als historisches Ereignis einzustufen ist.

In einer Studie wurde die Rolle des Bundes sozialistischer Akademiker kurz BSA bezüglich der Eingliederung ehemaliger Nationalsozialisten offengelegt, nicht als Streitschrift von Journalisten, sondern beauftragt von der Institution selbst, die ihre Archive offen legte und zwei namhafte Historiker, Dr. Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz beauftragt hatte, Klarheit ins Dunkel der Andeutungen zu bringen. Ein einzigartiger Fall in der Geschichte der zweiten Republik und es ist schade, dass dies in der Öffentlichkeit so nicht gewürdigt wurde.

Die Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte erfolgt in Österreich immer nur dann, wenn es Vorwürfe aus dem Ausland, also Druck gibt und sich Skandale nicht mehr unter den Koalitionsteppich kehren lassen. Wie wäre unser Verhältnis zur Geschichte des Nationalsozialismus, wenn es nicht die Besatzungsmächte gegeben hätte, denn ohne deren Forderungen, ohne den Zaunpfahl des Staatsvertrages wäre vieles nicht passiert, denn die Rufe nach einem Schlussstrich waren bereits im Sommer 1945 (!) laut geworden. Dieser Hintergrund muss klar gelegt werden, um das Besondere dieser Studie verstehen zu können. Der Skandal um den Arzt vom Spiegelgrund Dr. Heinrich Gross war der Anlass, doch deswegen gleich die historische Wahrheit zu wollen, das ist ungewöhnlich. ≥Braune Flecken„ machen sich nicht gut, doch so richtig gestört hat dies lange Jahre niemand ˆ nicht nur im BSA.

Unabhängig von der Fülle der Einzelfälle, die die beiden Historiker in Form von Kurzbiographien präsentieren, werden die Zeitumstände erläutert, die bei namhaften Sozialisten das politische Tagesgeschäft über Prinzipien stellen ließ. Für Adolf Schärf hatte die Entnazifizierung dazu geführt, ≥dass der öffentliche Dienst in höherem Maß von Menschen katholischer Orientierung besetzt wurde, als es je in Zeiten der Gegenreformation der Fall war.„ Der BSA sollte helfen das Monopol des CV zu brechen und zu einer bedingten ≥Entklerikalisierung„ beizutragen.

Der Wunsch nach einer maß- und sinnvollen Integration der vielbeschworenen ≥einfachen„ NS-Mitglieder, der auch von KZ-Häftlingen formuliert wurde, folgte eine Anwerbung, die nicht nach Details fragte. Aussagen von BSA-Funktionären wonach es zwischen Nationalsozialismus und Sozialismus wenige, wenn auch schwerwiegende Differenzen gebe, markieren diesen aus heutiger Sicht unglaublichen Umgang mit der Vergangenheit.

In der Steiermark waren 70 Prozent der BSA Mitglieder 1948 registrierungspflichtig. Und eine Überprüfung des tatsächlichen Gesinnungswandels der beigetretenen bzw. beitrittwilligen ≥Belasteten„ fand nie statt. Die Verdrängung der NS-Vergangenheit war eine logische Folge.

In der Liste der prominenten Fälle finden sich unter den BSA-Mitgliedern Namen wie Franz Scheidl, der als einer der ersten Holocaustleugner im deutschsprachigen Raum galt. Scheidl war bis 1960 BSA-Mitglied: Nur sieben Jahre später publizierte er seine revisionistischen Bücher. Der Jurist Mag. Johann Biringer war als SA und SS-Mitglied in einer Einheit tätig, die auch sogenannte ≥Säuberungsaktionen„ in Minsk 1941 durchführte. Kein Wunder dass er die Kontakte zu SS-Kameraden auch als Polizeidirektor von Salzburg pflegte: Erst 1997 trat er aus dem BSA aus. Auch schwerbelastete Nationalsozialisten wie Heinrich Kunnert, der im SD, dem Nachrichtendienst der SS gedient hatte und sich durch antisemitische Hetze hervortat, fanden ohne Probleme Aufnahme und Kunnert wurde zu einer zentralen Figur der Kulturpolitik in Burgenland. Dass in den Festschriften seine NS-Vergangenheit einfach nicht existent war, versteht sich von selbst. Diese und noch Dutzende weitere Biographien zeigen, dass der Fall Gross wirklich nur die Spitze eines Eisberges war und muss die Hochachtung, zumindest jetzt diesen mutigen Schritt Richtung historischer Wahrheit getan zu haben, umso größer werden lassen. Ein historischer Krimi, eine andere die fast immer ausgeblendete Geschichte im Staatsvertragsjubeljahr.

Wolfgang Neugebauer, Peter Schwarz Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten. Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und KünstlerInnen, BSA (Hrsg.)Wien Czernin Verlag 2005. 335 Seiten, Euro 23,-


Categorised as: Rezensionen