Robert Streibel

April in Stein

April in Stein
Das Massaker im Zuchthaus Stein am 6. April 1945: Ein Überblick
Stand 2018

Robert Streibel

„Wenn es bei euch Leute gibt, die unsere Erlebnisse anzweifeln, so kann man diese Leute nur zu jener zähen Rasse kompletter Deppen zählen, die ja bekanntlich in keinem Land der Welt aussterben.“ Diese prophetischen Worte schrieb Max Hoffmann, der ehemalige Häftling des Zuchthauses Stein a. d. Donau im Jahr 1946 aus Berlin an seinen Freund und Schicksalsgenossen, den steirischen Bergarbeiter Karl Maria Amreich. Beide überlebten das Massaker und wurden am 8. Mai verwundet aus dem Keller des Gefängnisses befreit.

Am 6. April 1945, wenige Wochen vor der Befreiung ereignet sich in Stein an der Donau eines der größten Massaker kurz vor Kriegsende. Die genaue Zahl der Toten konnte nie festgestellt werden, auf dem Massengrab in Stein ist von 386 Toten die Rede. Bis heute liegen Tote auf dem Weg Richtung St. Pölten noch immer am Straßenrand verscharrt, ohne beerdigt zu sein.

Häftlinge aus ganz Europa waren zwischen 1938-1945 in Stein inhaftiert. Rund ein Viertel waren politische Häftlinge im engeren Sinn, wobei es eine Vielzahl an Delikten gab, die lediglich im Weltbild der Nazis als Verbrechen eingestuft waren, dazu gehört die Verfolgung von Beziehungen von Frauen zu Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern ebenso wie das „Schwarzschlachten“ oder die Manipulation an Essenkarten. Für die politischen Häftlinge ging der Kampf gegen das Regime hinter den Kerkermauern weiter. Die Vorbereitung von Nachrichten, das Abhören von Feindsendern, das Schmuggeln von Lebensmitteln, Sabotage.

Griechen und Tschechen in Stein
Durch halb Europa wurden im Sommer 1944 griechische Widerstandskämpfer verbracht, nur um sie nicht freilassen zu müssen. Rund 400 Griechen warteten sehnlichst auf die Befreiung. Häftlinge aus vielen Nationen sind in Stein eingekerkert. Eine große Gruppe stellen auch die Tschechen. Jaroslav Petras aus Brno ist es gelungen sein Gefängnistagebuch vor der Vernichtung zu retten. Ab 1943 beschreibt und zeichnet er den Alltag in der Zelle, notiert Träume, Wünsche und den Alltag hinter Gittern. Die Zeichnung des Häftlings mit einem Blumenstrauß und dem Galgen auf dem die Gerechtigkeit als Paragraphen-Zeichen ist ein Gruß an seine Mutter.

Liebe Mama!
Zu Deinem Feiertag/und vergangenen Muttertag/wünsche ich Dir zwar aus dem Gefängnis
Aber trotzdem vom ganzen Herzen/ Eine Menge Geld, gute Gesundheit, /das Übrige wird schon der Herrgott richten./ Dass Du nie alt wirst,/ das wünscht Dir Dein Sohn Jara.
Nach dem Krieg war Jaroslav Petras einer der ersten der die Ereignisse des 6. April in Buchform dokumentiert hat.


Keine Verpflegung Anfang April

Spätestens seit dem Bombardement des Bahnhof Krems durch amerikanische Flieger am 2. April war die Versorgungslage im Zuchthaus angespannt und Verpflegung gab es nur mehr für wenige Tage. In dieser Situation beauftragt der Direktor der Anstalt Franz Kodré seinen Stellvertreter beim Vertreter des Gauleiters. Dr. Gruber vorzusprechen. Dieser erhält die Auskunft und die schriftliche Ermächtigung, „nicht asoziale“ Häftlinge, soweit es sich nicht um „schwere Fälle politischer oder krimineller Art“ handelt, zu entlassen und die übrigen per Bahn, Schiff oder zu Fuß Richtung Westen abzutransportieren.

Was tun bei Herannahen der Front?
Wenige Tage zuvor hatte Kreisleiter Anton Wilthum den Rat gegeben, die Häftlinge einfach umzulegen. Entgegen dieser Anweisung entschließt sich der Direktor des Zuchthauses, alle Häftlinge nach Gesprächen mit einem Häftlingskomitee die Entlassung aller Häftlinge anzuordnen. Für eine Reihe von nationalsozialistisch eingestellten Aufsehern war dies ein unhaltbarer Zustand. Bereits am 5. April werden zwischen 80-100 Häftlinge entlassen.

Am Morgen des 6. April wird mit der Freilassung der Häftlinge begonnen und die Kleidersäcke im Ökonomiehof aufgelegt. Durch die passive Resistenz der Aufseher kommt es zu tumultartigen Szene, die jedoch rasch beruhigt werden können, nachdem rund 10 politische Häftlinge mit Gewehren und Pistolen ausgestattet werden, um für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen.

Als der Justizwachbeamte Anton Pomassl von der Bewaffnung der Häftlinge erfährt, wendet er sich zwischen 10 und 11 Uhr an Alois Baumgartner, den stellvertretenden Direktor der Anstalt und fragt, ob es nicht besser sei, die Kreisleitung der NSDAP in Krems zu verständigen, da er eine Revolte der Häftlinge befürchte.

Ohne Rücksprache mit dem Direktor Kodre verständigt Pomassl telefonisch die Kreisleitung der NSDAP Krems und teilt dieser mit, dass in der Strafanstalt „eine Revolte“ ausgebrochen sei. Kreisleiter Wilthum verständigt daraufhin Josef Pfeifer, NSKK-Standartenführer, und Major Pribil, den Kommandanten eines Pionier-Einsatzbatallions.

Zum Zeitpunkt des Anrufes bei Major Pribil befindet sich Oberleutnant Lorenz Sonderer, NS-Führungsoffizier und – nach unterschiedlichen Aussagen – Sonderbeauftragter Hitlers bzw. des Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Süd, Generaloberst Rendulic, bei ihm. Gemeinsam mit SA und SS und Volkssturm fahren die bewaffneten Einheiten zum Zuchthaus, wo sie von Baumgartner mit den Worten empfangen werden „Hier im Haus ist eine Revolte!“

Das Morden beginnt
Die Tore des Zuchthauses werden von den Häftlingen geschlossen und von den Militärs darauf mit Granaten freigesprengt.

Am frühen Nachmittag werden  Kodre und der Verwaltungssekretär Lang sowie der Aufseher Josef Lasky verhaftet und vom  Polizeihauptmann Hahn in das Polizeiamt Krems überstellen. Als der Kreisleiter von dieser Überstellung erfährt, ordnet er  die sofortige Rückführung in die Strafanstalt an,  da die vier Angeklagten in der Strafanstalt auf Befehl des Gauleiters Dr. Hugo Jury sofort standrechtlich zu erschießen seien.

Im Zuchthaus richten die militärischen Einheiten ein Blutbad an. Eine besondere Rolle dabei spielt der SA Standartenführer Leo Pilz. Auf die bereits freigelassenen Häftlinge wird Jagd gemacht. Von St. Pölten und bis nach Hadersdorf zieht sich die Blutspur der als „Kremser Hasenjagd“ verharmlosten Jagd auf Häftlinge.

In der Nacht vom 6. auf den 7. April und am Tag darauf werden die Opfer des Massakers in drei Massengräbern im Wäschereihof, die von überlebenden Häftlingen ausgehoben werden, verscharrt. Jene Toten, die in den Gräbern keinen Platz mehr finden, werden in die Donau geworfen. Die meisten dieser „Totenbestatter“ finden nach der Verrichtung ihrer Arbeit ebenfalls den Tod.

Am Tag nach dem Massaker ordnet der neue Direktor der Anstalt Baumgartner die Freilassung von kriminellen Häftlingen an. Die restlichen rund 800 Häftlinge werden mittels zweier Kohlenschlepper auf der Donau nach Passau und von dort weiter in bayrische Strafanstalten nach Straubing und in das Lager Bernau überstellt.

Weitere Massaker am 7. und 15. April
Am 7. April werden 61 Häftlinge in Hadersdorf von der SS erschossen und beim Friedhof in einem Massengrab verscharrt.

Am 15. April werden zum Tod verurteilte Häftlinge, die am 5. April bei Herannahen der Roten Armee von Wien zu Fuß nach Stein getrieben werden, im Hof des Zuchthauses erschossen unter ihnen befinden sich unter anderem Vertreter der Antifaschistische Freiheitsbewegung Österreichs aus Kärnten und auch 17 Polen von der Nachrichtenorganisation „Stragan“, der polnischen Widerstandsbewegung „Armia Krajowa“.  Neben diesen 44 hingerichteten aus Wien werden in diesen Tagen auch noch Todesurteile an drei Kremser Widerstandskämpfern vollstreckt.

Im Keller des Zuchthauses überleben von mehr als 13 verwundeten Häftlingen, die ohne ärztliche Versorgung zurückgelassen nur drei die Zeit bis zur Befreiung am 8. Mai. Neben dem Berliner Max Hofmann sind dies der steirische Bergarbeiter Karl Maria Amreich und der griechische Widerstandkämpfer Gerasimos Garnelis.

Einer der ersten großen Kriegsverbrecherprozesse
Zwischen 5. – 30. August 1946 wurde im ersten großen Kriegsverbrecherprozess Österreichs in Wien gegen die Täter von Stein verhandelt. Für diesen Prozess wurde auch diese Skizze, der Örtlichkeiten angefertigt, die sich im Archiv der Justizanstalt befindet. Die Bedeutung dieses Prozesses zeigt sich bereits daran, dass eine Reihe von Zeitungen vom Prozessbeginn auf der Titelseite berichteten. Zitat „Wiener Zeitung“, Zitat „Österreichische Zeitung“

Während des Prozesses wurden einige Zeugen, die von Häftlingen als Täter identifiziert wurden, im Gerichtssaal verhaftet. Die Angeklagten Leo Pilz, Alois Baumgarten, Anton Pomassl, Franz Heinisch und Eduard Ambrosch  werden zum Tode durch  den Strang verurteilt. Das Urteil wurde am ßßß 1947 vollstreckt.

Karl Sperlich,  Alois Türk, Johans Doppler, Karl Forster und Franz Ettenauer unter Zubilligung mildernder Umstande zu lebenslangem, schwerem, verschärftem Kerker mit Dunkelhaft an jedem 6.,  beziehungsweise 7. April. Karl Rosenkranz erhält drei Jahre schweren verschärften Kerkers. Vier Angeklagte werden freigesprochen.Bis heute unbeachtet blieb, dass mit den Verurteilten bei weitem nicht alle Täter angeklagt worden waren. Nach den Toten, die auf dem Weg Richtung St. Pölten in verschiedenen Orten wie zum Beispiel in Paudorf, Hörfarth und Rottersdorf bei Statzendorf erschossen wurden, wurde nie gesucht, sie liegen bis heute verscharrt in der Erde. Die im Hof des Zuchthauses begrabenen Toten werden im Jänner 1950 exhumiert, wobei insgesamt 209 Überreste von Gefangenen geborgen werden und in einem Massengrab auf dem Friedhof in Stein in unmittelbarer Nähe des Friedhofes beigesetzt.

Gedenken an das Massaker
Die Gemeinde in Hadersdorf hat sich durch Jahre geweigert, der Toten des Massakers vom 7. April 1945 zu gedenken. In einem Gedenkstein wird seit 2009 lediglich der erschossenen Häftlinge von Stein gedacht. Regelmäßig bringen Vertreter von Opferverbänden den Zusatz „politische Häftlinge“ an diesem Grabstein an.

Im Jahr 1995 aus Anlass der 50. Wiederkehr des Massakers wurden im Rahmen einer künstlerischen Aktion 386 Kreuze im Umfeld der Justizanstalt aufgestellt. Hinter jedem Kreuz standen Schülerinnen und Schüler aus Krems.
Bei einer Gedenkfeier im April 2015 wurde eine kleine Gasse zwischen Justizanstalt Stein und der Ringstraße nach Gerasimos Garnelis benannt, der durch den Bürgerkrieg in seiner Heimat nicht nach Griechenland zurückkehren konnte und 1999 in Krems verstorben ist. Seit dem Jahr 2013 organisiert die Stadt Krems das Gedenken an dieses Massaker.

 

 

Literatur: Robert Streibel: April in Stein (Roman 2015)
Moritz Haghofer: Das Massaker im ehemaligen „Zuchthaus“ Stein und die „Kremser Hasenjagd“ im gegenwärtigen lokalen Gedächtnis. Diplomarbeit 2017.
Konstantin Ferihumer:  Der Stein-Komplex. Zur Aufarbeitung von Kriegsendphaseverbrechen des Zweiten Weltkriegs im Raum Stein a. d. Donau. Masterarbeit Universität Wien, 2012.

 


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